Teil 2 – Noch mehr Hradschin und die abendliche Altstadt
Der Veitsdom ist natürlich nicht
das einzige (touristische) Highlight der Burgstadt Hradschin. Neben dem
sehenswerten Mathiastor und der Heiligkreuzkapelle bietet der zweite
Burghof (gegen einen Obulus) die Möglichkeit, die 1950 durch Zufall freigelegten
Fundamente der ältesten Kirche Prags, die natürlich nicht mehr steht, zu
besichtigen. Im dritten Burghof steht zudem eine Statue des Heiligen Georg, wie er gerade das tut, wofür er berühmt
ist, nämlich einen Drachen zu töten.
Diese Statue stammt aus dem Jahr 1373, nimmt aber – auch das weiß der
ADAC-Reiseführer, „Stilmerkmale der höfisch-eleganten Kunst“ späterer
Jahrhunderte bereits vorweg und macht eher einen renaissancigen Eindruck. Die
Heiligenlegende von Georg dem Drachentöter ist übrigens eine der bekanntesten und
meist überlieferten aus dem Mittelalter. Er war laut der Legende ein zu Tode
gefolterter Märtyrer, der um 300 n. Chr. gestorben und seitdem vor allem ein
Heiliger des osteuropäischen Christentums ist. Die Drachentöterkomponente kam
erst zur Zeit der Kreuzzüge, also etwa im 12. Jahrhundert hinzu und besteht
meist darin, dass der Heilige Königstöchter vor diebischen Drachen gerettet und
das Ungetüm gerichtet hat. Das Georgskreuz habt ihr sicher alle schon einmal
gesehen – in Form der englischen Flagge.
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Zweiter Burghof mit Heiligkreuzkapelle |
Ebenfalls am dritten Hof befindet
sich der alte Königspalast. In welchem
heute die Präsidentenwahl abgehalten wird; entsprechend repräsentativ und
flaggengeschmückt ist das Gebäude auch. Darin muss es wohl einen sehr
sehenswerten mittelalterlichen Saal, den Wladislaw-Saal
geben. Geschichtsträchtiger aber ist dessen kleiner Bruder daneben, der Statthaltersaal – hier warfen 1618 ein
paar Protestanten zwei kaiserliche Räte und einen Stadtschreiber aus dem
Fenster. Das Ergebnis ist der sogenannte ‚Zweite Prager Fenstersturz‘ und der
Beginn des Dreißigjährigen Krieges.
Es schließt sich der
Georgsplatz an, benannt nach dem nun
schon vorgestellten Drachentöter. Hier gefiel mir die
St.-Georg-Basilika am meisten. Das ist ein romanischer Kirchenbau mit
aus dem 12. Jahrhundert, der – innen äußerst schlicht gehalten – ein paar Jahrhunderte
später zumindest äußerlich mit ein wenig barockem Pep versehen worden ist. Durch
die schmale Georgsgasse führt der Weg weiter an der Basilika vorbei zum
Burggrafenamt. Dort ist heute ein
Spielzeugmuseum drin. Gegenüber steht das alte Kloster St. Georg, in dem sich
heute große Teile der Nationalgalerie befinden.
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Portal der Basilika St. Georg |
Auf der anderen Seite des
Burggrafenamtes, quasi in der allerhintersten Nische des Hradschin, ist
schließlich die
Goldene Gasse, die
auch auf den Namen Goldmachergasse hört – der geneigte Kafkaleser kennt sie
aber wahrscheinlich als die Alchimistengasse. Hier reiht sich pittoreskes
Häuschen an noch pittoreskeres Häuschen, alle sind sie romantisch windschief
und haben niedliche kleine Fensterchen und alles könnte so schön sein, wären da
nicht die Touristenscharen, die das enge kleine Gässchen überbevölkern und in
die Kitschläden rennen, die sich in den Häuschen – die wirklich einmal
Wohnhäuser waren – eingemietet haben. So hatte ich die Gasse von meinem ersten
Pragbesuch (2005 oder 2005) in Erinnerung und schon deswegen habe ich sie
dieses Mal nach 18Uhr aufgesucht. Dann haben die Geschäfte darauf geschlossen
und das Betreten (!) der Gasse kostet auch keinen Eintritt mehr. In der Tat
befanden sich dann auch nur noch ein paar Handvoll Touristen dort und die
Abendsonne konnte den Konsumcharakter, den das Prager Sightseeing mittlerweile
angenommen hat, mit ihrem warmen, goldenen Licht etwas übertünchen. Das Haus Nummer
22 hat übrigens Franz Kafka mal eine Weile als "Schreibstube" genutzt. Mehr als ein Stübchen ist es auch nicht, es hat nur ein Stockwerk und
viel mehr als ein kleines Zimmerchen, in das sich heute eine Kafka-Buchhandlung
pfercht, und so eine Art Keller gibt es nicht darin. Kafka war im Sommer 1916
auf Wohnungssuche, weil seine aktuelle Wohnung ihm zu laut zum Schreiben
erschien. Zusammen mit seiner Schwester Ottla, ebenfalls auf Wohnungssuche,
fragten sie auf der Kleinseite und am Hradschin nach und erfuhren zu ihrer
Überraschung, dass ein Häuschen auf der Alchimistengasse bald frei werde und
Ottla mietete es – vorerst für sich, aber bald überließ sie es dem Bruder
Franz. Er war, man muss sagen: ausnahmsweise, sehr zufrieden dort. „Es
entspricht mir ganz und gar“, Schreibt er in einem Brief an die ewige Verlobte
Felice Bauer. Den Großteil jener Erzählungen, die noch zu seinen Lebzeiten im Band
„Ein Landarzt“ veröffentlicht werden sollten, schrieb er in dem halben Jahr, in
welchem er die Alchimistengasse Nr. 22 bewohnte.
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Kafkas ehemaliges Schreibhäuschen |
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Blick in die Alchimistengasse |
Es treibt uns schließlich wieder
von der Burg herunter. Durch die
Nerudagasse
nähern wir uns wieder der Moldau über die Kleinseite. Das ist der historische Teil Prags, der westlich der
Moldau liegt. Den historischen Kern östlich des Flusses bilden die Altstadt und
die Josefstadt, das kleine jüdische Viertel. Die Nerudagasse ist voller
Kaffees, Restaurants, Souvenirläden und Menschen; dass sie auch sehr steil ist,
hat den amüsanten Effekt, dass man dicke Touristen dabei beobachten kann, wie
sie sich in ungeeignetem Schuhwerk auf dem Kopfsteinplaster aufwärts quälen. Aber
schöne Dinge gibt es auch zu sehen: Prag ist berühmt für die schönen Reliefs an
den Häusern, vor allem für die Hauszeichen über den Türen, welche meistens
einen Gegenstand, eine Pflanze oder ein Tier darstellen, das den Beruf
desjenigen, der in grauer Vorzeit dort einmal gelebt hat, symbolisiert. Also
etwa einen goldenen Kelch für den Goldschmied oder eine Violine für den
Geigenbauer. ‚Neruda‘ hat übrigens nichts mit dem chilenischen Erfolgsautor Pablo
Neruda zu tun, sondern vielmehr mit Jan Nepomuk Neruda, einem tschechischen Poet
und Journalist des 19. Jahrhundert, dessen Geburtshaus in dieser Gasse steht.
Pablo Neruda hieß übrigens eigentlich Neftalí Ricardo Reyes Basoalto und wählte
den Namen ‚Neruda‘ in Anlehnung an Jan Neruda.
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Geburtshaus von Jan Neruda |
Die Nerudagasse mündet schließlich
im
Kleinseitener Ring. An diesem
Platz stehen einige sehr imposante Gebäude, unter anderem die Kirche
St. Niklas auf der Kleinseite – ein Wahnsinnsausmaß
an Barock und römisch-katholischem Prunk – sowie diverse schmucke
Renaissancepalais. Über die Brückengasse – der Name verrät es – gelangen wir
schließlich zur
Karlsbrücke, karlův most. Sie
empfängt uns in Form der
Kleinseitener Brückentürme,
einer Romanik-Renaissance-Koproduktion aus einem größeren und einem kleineren
Turm mit einem gewaltigen gotischen Zinntor als Durchgang. Bevor wir uns aber
in der Abenddämmerung auf die immer noch recht volle Brücke wagen, stärken wir
uns mit einheimischem Gerstensaft.
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Blick durch das gotische Tor der Brückentürme |
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Die Kleinseitener Brückentürme von der Karlsbrücke aus |
Die Brücke ist voller Paare, Gruppen
von Jugendlichen und Familien, die auf der Suche nach dem perfekten Foto mit sich
selbst und Prager Burg vor Sonnenuntergangshimmel sind. Ein paar der
Portraitzeichner, Karikaturisten und Schmuckverkäufer sind auch noch da. Unter der
Brücke kurven die Ausflugsschaufelraddampferflussschifffahrtsgesellschaften
herum, die Dampfer hupen sich hier und da zu, dass es durch die halbe Stadt
dröhnt.
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Auf der Karlsbrücke, mit Blick Richtung Altstadt |
Auf der anderen Seite der Brücke
steht, ganz analog, der
Altstädter
Brückenturm. Wie vieles andere in dieser Stadt stammt der gotische Turm von
Peter Parler, dem bedeutendsten der am Dom beteiligten Baumeister. Durch sein
Tor gelangt man in die Altstadt – und hier ist nicht weniger los als auf dem
Hradschin oder der Karlsbrücke. Zunächst einmal steht man auf dem
Kreuzherrenplatz. Hier erwartet einen die
Kreuzherrenkirche,
die an St. Niklas von der anderen Flussseite erinnert. Da sie mit einer
vergleichbar opulenten Kuppel und ähnlich barock daher kommt. Es schließt sich
das
Klementinum an, ein großer
Gebäudekomplex mit verschiedenen Kapellen, Bibliotheken und der Salvatorkirche.
Durch die Karlsgasse (karlova), malerisch klein und schmal – zu schmal für so
viele Leute – geht es allmählich ins Zentrum der Altstadt, zum
Altstädter Ring. Auf dem Weg dahin
kommt man an unzähligen Souvenirläden und Restaurants vorbei. Vor jedem
Restaurant steht ein Angestellter und will dich zu einer Mahlzeit dort
überreden, manche versuchen regelrecht, dich hineinzudrängen oder dich in
Richtung eines noch freien Stuhles zu bugsieren – aber Vorsicht! In diesen
immervollen Restaurants zwischen Brücke und Altstädter Ring wird auf den
Überrumpelungseffekt gesetzt, der Touri wird am Ende nicht selten finanziell
über den Tisch gezogen.
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Altstädter Brückenturm |
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Kreuzherrenkircke (links), Klementinum |
Und endlich sind wir am Altstädter
Ring angelangt. Zuerst kommt das Rathaus in unser Blickfeld, berühmt für die
astronomische Uhr aus dem 15. Jahrhundert am Turm, die man in vielen schlechten
Miniaturrepliken in den Souvenirshops erstehen kann. Der Abend ist noch lau,
und der große Platz um das Jan-Hus-Denkmal ist noch voller Menschen, die sich
über die milden Temperaturen zur mittlerweile vorgerückten Stunde freuen. Alle
wichtigen Gebäude – die Teynkirche, das Palais Kinsky, die Kirche St. Niklas in
der Altstadt – sind repräsentativ angestrahlt. Auf dem Platz haben immer noch
ein paar der Holzbuden offen und verkaufen Bratwurst, Bier oder. Eine Prager
Spezialität, die zu probieren ich irgendwie nicht geschafft habe.
Nach diesen nächtlichen Impressionen vom Altstädter Ring beenden wir diesen Tag. Das nächste Mal wollen wir uns ganz auf Kafkas Spuren begeben und einen Rundgang durch 'sein' Prag unternehmen.
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