Leipzig ist eine Wasserstadt. Hier gibt es zwar keinen vernünftigen Fluss, so wie Dresden die Elbe hat oder Halle die Saale, aber stattdessen gibt es viele kleine Flüsschen (Luppe, Pleiße, Parthe, Weiße Elster, ...), eine Menge Kanäle und die vielen Seen der Neuseenlandschaft. Und all diese fließenden und stehenden, natürlichen und künstlichen Gewässer tragen maßgeblich zum Wohlfühlen, zur Lebensqualität in der Stadt bei.
Die beiden großen Kanäle in der und um die Stadt sind der Karl-Heine-Kanal, an dessen Ufern es sich wunderbar flanieren und teuer wohnen lässt, und der Elster-Saale-Kanal. Im Jahr 1938 sollte das große Projekt, diese beiden Kanäle miteinander zu verbinden und eine schiffbare Verbindung zwischen Leipzig und Halle, zwischen Leipzig und den deutschen Wasserstraßen herzustellen, endlich Wirklichkeit werden. Man baggerte ein 1km langes und ca. 70m breites Hafenbecken zwischen den Enden der zu verbindenden Kanäle aus und baute drei mächtige Speichergebäude daneben. Wikipedia weiß übrigens, dass dies eine der vielen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Nazis war, um die Arbeitslosenstatistik zu schönen.
Allerdings hat man das Becken nie mit einem der Kanäle verbunden, es ist nie ein Schiff in diesem Hafen gewesen, es ist nie eines von Halle nach Leipzig gefahren. Denn 1942 wurden die Bauarbeiten aus Kriegsgründen abgebrochen und nie wieder aufgenommen. Bis in die 1990er Jahre hat man die Speichergebäude als Lager genutzt, seitdem stehen sie leer herum und verfallen mehr und mehr. Seit 1997 ist die gesamte Anlage ein technisches Denkmal. Der Anblick ist sowohl trostlos als auch schaurigschön, wie ich finde:
Dieser Ort befindet sich am Rande des Leipziger Stadtteils Neulindenau, fast schon in Grünau, ca. 7km vom Stadtzentrum entfernt - also nicht gerade prominent gelegen. Laut der Homepage der Stadt sind es übrigens nur 4,5km. Dennoch gibt es schon seit Dekaden Pläne, dieses angefangene Projekt irgendwie zu vervollständigen oder diese Ecke der Stadt zumindest aufzuwerten. Der aktuelle Plan sieht Folgendes vor:
Ein Naherholungsgebiet am Wasser soll entstehen, dazu ein Sportboothafen. Dafür sollte zunächst einmal die längst überfällige Verbindung von Karl-Heine- und Saale-Elster-Kanal mit dem Hafenbecken - also auch die Verbindung der Kanäle miteinander - hergestellt werden. Die Bauarbeiten dazu haben im September 2012 begonnen.
Die Stadt beschreibt das Projekt wie folgt: "Die Stadt Leipzig entwickelt am Lindenauer Hafen ein neues Stadtquartier
am Wasser. Es soll hohe Wohn- und Nutzungsqualitäten in einer Mischung
verschiedener Wohn- und Eigentumsformen sowie Preissegmenten aufweisen
und Angebote für eine Wohngebietsversorgung, Dienstleistungen,
Gastronomie und wasseraffine Nutzungen integrieren." (
Quelle)
Genauergesagt soll das Ostufer des Beckens mit "attraktiven Eigentumswohnungen und Selbstnutzerprojekten" sowie "Mietwohnungen und Gewerberäumen in unterschiedlichen Preissegmenten" bestückt werden, das Westufer soll grün bleiben und als Naturraum für die Menschen dienen. Die Speichergebäude bleiben als technisches Denkmal erhalten.
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So soll das mal aussehen |
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Und so |
Dieses große eckige Becken rechts wird der Sporthafen mit 200 Anlegestellen werden. "Touristische Basiseinrichtungen und maritimes Gewerbe" sollen hier untergebracht werden.
Das klingt ja alles schön und gut. Die Stadt sieht schon zig nette junge Familien eine Eigentumswohnung im neuen Viertel beziehen und ihre Kinder auf das Robert-Schumann-Gymnasium auf der Demmeringstraße um die Ecke schicken. Und sonntags paddeln dann alle auf dem Karl-Heine-Kanal herum und keine Barriere in Form eines fehlenden Kanaldurchstichs ist mehr im Weg, wenn man gen Nordwesten paddelt.
Neulich war ich mit dem Liebsten genau in diesem Areal spazieren. Bedenkt man, dass laut Internetpräsenz der Stadt in wenigen Jahren alles fertig sein soll, dann muss man feststellen: hier ist noch nix weiter passiert. Und ob man diese Ecke der Stadt tatsächlich aufwerten kann ...? Die das Areal umgebenden Straßen werden von Betonbauunternehmen, Autohäusern und verfallenen Gewerbegrundstücken gesäumt. Direkt nebenan ist mit der "Maison D'Avalon" ein Etablissement, in dem man Frauen nicht nur für sich tanzen lassen kann. Die angrenzenden bewohnten Straßen sprudeln nicht gerade von der viel beschworenen Leipziger Lebensqualität. Eigentlich gibt es da vor allem Hundekacke, rauchende Hundebesitzer, die sich wegen dieser Kacke gegenseitig vollnölen und anbrüllen, es gibt Leerstand, Verfall, Zigarettenkippen und viel Kaputtes. Und wer aktuell noch hier wohnt, wird die Aufwertung der Gegend (falls sie denn stattfindet) als Anstieg seiner Mietkosten zu spüren bekommen und die dann nicht mehr bezahlen können (könnte er mehr Miete zahlen, würde er woanders wohnen). Die beiden großen Hauptstraßen des Areals (Plautstraße, Lützner Straße) zeichnen sich ebenfalls vor allem durch Dreck, Lautstärke und Autos über Autos aus.
Ich bin gespannt drauf, wie es weitergeht.