In Leipzig steige ich in einen gut
gefüllten ICE ein. Kurz vorher hat mein Freund mich in der
Bahnhofshalle verfehlt, fast wäre es nichts mit der Verabschiedung
am Gleis geworden.
Mir gegenüber sitzen
zwei Frauen, sie gehören nicht zusammen. Die Blonde hackt auf ihrem
Notebook herum und sieht aus wie jemand, der so eine Art Chef meines
Freundes ist. Die Schwarzgefärbte am Fenster hat einen
pinkgeringelten Schal und wird kurz nach Abfahrt angerufen. Dem viel
zu langen Gespräch mit ihrer Mutter entnehme ich ein
Vorstellungsgespräch als Servicekraft in einem Casino als bisherigen
Tageshöhepunkt. Sie lebt eine Stunde Regionalzug von Berlin
entfernt, bei ihren Eltern, ist um die Dreißig. Mutti, Mutti, Mutti, aus anderen Wörtern besteht das
Telefonat kaum. Bis Berlin Südkreuz, das sie fast verpasst, schläft
sie.
Es kommt mir in Berlin Hauptbahnhof so
vor, dass ich die einzige Reisende bin, die nicht aussteigt. Alle
Plätze um mich herum bekommen neue Besetzer. Blondie und Blacky
werden ersetzt durch einen kauzigen Mann mittleren Alters und seine
sehr liebenswerte, süße Tochter von vielleicht zwei Jahren. Er
riecht stark alkoholisch; sein Aufzug erinnert an einen Gelehrten von
vor hundert Jahren, die „Feuerzangenbowle“ kommt mir in den Sinn.
La la la, singt das Mädchen, der Vater
hustet dazu unappetitlich. Eine Spielregel der Leute im Zug ist, dass
man hier leise sei. Das sagt er ihr, als sie den Deckel des metallenen Mülleimers immer wieder fallen lässt. Er scheint sie selten zu sehen und auch sonst mit Kindern wenig anfangen zu können, versucht immer wieder englische und spanische Einsprengsel im Gespräch unterzubringen. Sie quittiert es weitestgehend mit Verständnislosigkeit. Auch die Reihenfolge der Bahnhöfe bis Kiel möchte sie partout nicht behalten, was wiederum ihn verständnislos zurücklässt.
Die Leuchtreklamen großer Versicherungskonzerne blinken mich von großen Hamburger Häusern an. In dem kleinen norddeutschen Metropolenhauptbahnhof lasse ich mich von der Menge aus dem Zug schieben.
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