Es soll nicht klingen, als ob ich
im Zoo gewesen wäre, tut es aber leider bestimmt. Ich habe am Freitag zum ersten
Mal persönlich mit Geflüchteten zu tun gehabt. Das ist natürlich "nichts Besonderes" mehr, aber ich denke oft daran, es beschäftigt mich.
In Erfurt gibt es zwar schon
Unterkünfte, zum Beispiel auf dem Messegelände, aber da werden die Geflüchteten
weitestgehend von der Stadt und den Bürgern separiert. Ich verfolge das Thema
seit dem ersten gesunkenen Boot im Mittelmeer in den Nachrichten und im
Internet, habe auch beruflich immer mal wieder damit zu tun, aber live und in
Farbe war es die erste Begegnung.
Letzten Freitag bin ich mit dem
Regionalexpress von Erfurt nach Mühlhausen gefahren. Die Bahn war fast leer,
ein milder, träger Spätsommernachmittag. Beim ersten Halt des Zuges im
unscheinbaren Neudietendorf zwischen Erfurt und Gotha stiegen viele, viele
Menschen zu, sicher über zweihundert. Vor allem junge Männer, aber auch viele
Frauen mit Kleinkindern. Sie waren für mich relativ leicht als Flüchtlinge zu
identifizieren.
Zwei Männer, vielleicht Anfang
Zwanzig, setzten sich mir gegenüber. Ich war ziemlich neugierig, wollte gern
wissen, woher sie kamen und wohin sie unterwegs waren, traute mich aber nicht
so richtig. Also saß ich unsicher zwischen meinen großen Micky Maus-Kopfhörern
und sah aus dem Fenster.
Einer der beiden Männer mir
gegenüber sprach mich bald darauf an. Er und sein Nebenmann hielten mir mit
bittendem Blick ihre Papiere und ihr Zugticket entgegen. Da las ich, sie kommen
aus Bangladesch. Sie sprachen kaum Englisch und natürlich kein Wort Deutsch,
konnten mir ihre Fragen aber trotzdem begreiflich machen. Sie wollten wissen,
wohin sie eigentlich gerade fahren. Dem Ticket entnahm ich, dass diese vielen
Menschen um sieben am Morgen im bayerischen Deggendorf in den Zug gestiegen
waren und um abends halb zehn in Bielefeld ankommen sollten. Dazwischen lagen vierzehn
Stunden Regionalzüge und unzählige Umstiege in solchen Nestern wie Neudietendorf.
Denn sie sollten von der Erstaufnahmestelle in Deggendorf nach Nordrhein-Westfalen verteilt
werden. Ob Bielefeld am Meer liegt? Ob die Stadt groß sei? Ob sie in der Nähe
von Italien liegt? Eigentlich würden sie gern nach Mailand fahren, wo sie
Familie haben. Meine Antworten ernüchterten sie sehr.
Hier habe ich überhaupt erst mal
begriffen, in was für einer orientierungslosen Lage sich Flüchtlinge befinden.
Sie haben sich über einen halben Kontinent gekämpft und sind nun an einem Ort,
von dem sie oft buchstäblich nicht wissen, wo oben und unten ist. Sie werden
verteilt und wieder umverteilt und haben keinerlei Mitbestimmungsrecht. Und keine Ahnung, wohin die Bummelzüge
fahren, für die man ihnen die Verbindungsauskunft ausdruckt. Da steht auf dem
Zettel die Zeichenkombination „Neudietendorf“, also steigen sie dort aus, wo
auf dem Bahnhofsschild die gleiche Zeichenkombination steht.
Die beiden Männer, mit denen ich
mich so gut es ging unterhalten habe, waren sehr nett. Sie waren fast demütig.
So wie man sich jemanden vorstellt, der fremd ist und sich irgendwie
zurechtfinden möchte. Sie gehören zu den mittlerweile Hunderttausenden, die
über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Mitteleuropa
kommen. Ich hätte sie gern so viel mehr gefragt. Warum musstet ihr aus Dhaka
fliehen? Wie seid ihr von da in die Türkei gelangt? Leider endete die
Kommunikation oft in einer sprachlichen Sackgasse, trotz Händen und Füßen.
Dann habe ich mich unweigerlich
gefragt, ob ich etwas dabei habe, das ich ihnen geben könnte. Mehr als
Klamotten für ein Wochenende hatte ich nicht dabei, nicht mal einen Apfel. Ich
habe dann gefragt, ob sie Geld brauchen. Darüber ärgere ich mich jetzt noch,
denn das kam mir so kolonial von mir vor. Sie haben abgelehnt, das bräuchten
sie nicht. Dann kam auch schon Mühlhausen. Wir haben uns herzlich
verabschiedet, sie haben mir mit hochgestrecktem Daumen „Good Luck“ gewünscht.
Und ich ihnen auch.
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