Dienstag, Januar 09, 2018

Der Leseherbst in Erfurtjenaweimar

Gorch Maltzen in Eisenach
Der Leseherbst beginnt Ende August, denn diese Veranstaltung fand nach meinen "Lesesommer"-Posting statt: Am 26. August gab es in Eisenach das Sommerfest der Poesie der Literarischen Gesellschaft Thüringen (LGT). An insgesamt drei Orten stellten sich verschiedene lokale und regionale Autoren vor, die LGT präsentierte ihre Projekte und Lesereihen. Unter anderem auch "In guter Nachbarschaft". In der ehrwürdigen Reuter-Wagner-Villa stellten Mario Osterland und Peter Neumann die Veranstaltungsreihe vor und lasen auch selbst. Dazu gab es vom Nachbarschafts-Homie Gorch Maltzen supergute Kurzprosa. Am Abend konnte man sich dann von der Arbeit des Poetryfilmkanals überzeugen sowie von den mittlerweile weithin bekannten Thüringer Dichterinnen Nancy Hünger und Daniela Danz.

Am 14. Oktober gab es im Jenaer Kunstverein dann "Heimische Arten und Bodenkunde". Mario Osterland und André Schinkel stellten ihre neuen Gedichtbände vor, vom obersupertollen littlemanlost aus Erfurt kam die Musik dazu.

Mario Osterland las spät
Am 20. Oktober mussten sich die Erfurter Literaturinteressierten entscheiden: Zur Spätlese ins Haus Dacheröden oder zum Release der Anthologie "Wortwald" ins Naturkundemuseum? Sie haben wohl ziemlich genau halbe-halbe gemacht, denn beide Veranstaltungen waren gerammelt voll. Bei der Spätlese, wie immer charmant moderiert von Ryo Takeda, gab es Texte der unterschiedlichsten Qualitäten. Das reichte von vorgelesenen Mädchenblogtexten ohne Poesie, aber mit Moral, über charmanten Amateurrap aus Ilmenau bis zu ausgefeilter Prosa von Mirandolina Babunashvili und Gorch Maltzen. Auch Mario Osterland war mit frisch veröffentlichten Gedichten am Start. Die Spätlese ist ein Format der Erfurter Herbstlese. Parallel dazu stellte die "Aktionsgruppe Eskapismus" im Naturkundemuseum ihre brandneue Anthologie vor, in der u.a. auch Arne Hirsemann, der ehemalige Stadtschreiber von Heiligenstadt, vertreten ist.

Whoop whoop! Die mittlerweile 14. Ausgabe von "In guter Nachbarschaft" fand am 4. November im Erfurter Franz Mehlhose statt. Der Berliner Arzt und Schriftsteller Daniel Ketteler las aus seinem Roman "Grauzone", wobei die Lesung immer wieder in ein wildes Harakiri-Elektro-Konzert überging. Dabei wurde er von DJ Ernst Wawra unterstützt - denn gemeinsam sind sie Elektro Willi und Sohn! Als dann auch noch die legendäre Deborah auf die Bühne kam, war die Action perfekt. Ich habe selten ein derart euphorisches "Nachbarschafts"-Publikum erlebt ("Das war geil!"). Ein hochinteressantes Gespräch über die Verbindung von Literatur und Medizin und die psychiatrischen Probleme Berliner Kulturschaffender rundete die Veranstaltung ab.

Elektro Willi und Sohn feat Deborah

In der Villa Rosenthal
Apropos rund: Einen absolut runden Abend habe ich am 17. November in der Jenaer Villa Rosenthal erlebt. Die herrschaftlich getäfelten, warm ausgeleuchteten Erdgeschossräume der Villa waren eine tolle Kulisse für die Gedichte von Mario Osterland, Christine Hansmann und vor allem die Arrangements von Anna Carewe am Cello und Oli Bott am Vibraphon. Mit viel Leichtigkeit haben sie sich durch Jazz- und Klassikwerke vergangener Jahrhunderte musiziert.


Am 7. Dezember fand die ebenso ambitionierte und hochinteressante wie mies besuchte Lesung "Read Poetry. Read [it] kook.txt" im Kunsthaus Erfurt statt. Die Kookbooks-Verlegerin Daniela Seel ist mit eigenen  Gedichten - nämlich einem atmosphärisch unglaublich dichten Island-Zyklus - und den Verlagsautoren Birgit Kreipe und Steffen Popp nach Erfurt gekommen. Dazu gab es ein Gespräch zwischen Moderator Mario Osterland und Daniela Seel, in dem die Rahmenbedingungen, unter welchen unabhängige Literatur entsteht, seziert worden sind.

Tags drauf dann das große "Nachbarschafts"-Finale für 2017: die insgesamt 15. Ausgabe von "In guter Nachbarschaft" war ganz Wassily Kandinsky gewidmet. Im gut besuchten Weimarer Kulturzentrum mon ami stellten der Berliner Autor, Philosoph und Kulturvermittler Alexander Graeff und der Übersetzer Alexander Filyuta das wenig bekannte lyrische Werk des Malers, Kunsttheoretikers und Pädagogen Kandinsky vor. Dazu gab es Musik von niemand geringerem als der Thüringer Jazz-Legende Conny Bauer, der bereits vor Jahren das Theaterstück "Der gelbe Klang" von Kandinsky als Posaunenimprovisation vertont hat. Von dem hervorragend choreografierten Abend, der Musik, den Gedichten und den Erläuterungen Graeffs war das Publikum hellauf begeistert. Ein würdiger Abschluss des Lesejahres.

Conny Bauer (links) und Alexander Graeff

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