Seit wenigen Monaten arbeite ich in einer sehr kleinen Filiale einer großen deutschen Buchhandelskette als Aushilfe. Das macht fast immer Spaß, ich habe nette und kompetente Kolleginnen, das Arbeitsklima ist sehr gut. Drei bis viermal die Woche kann man mich da an der Kasse, beim Bücherbestellen für oder Beraten von Kunden, beim Büchereinräumen oder Aufspüren hoffentlich nicht gemopster DVD-Bestseller bestaunen. Ich mache mich da wohl ganz gut, wenn ich auch nach wie vor wenig Schimmer von den Genres habe, die wir am meisten verkaufen - tränendrüsige Historienschinken und im Fahrwasser von internationalen Erfolgsautoren schwimmende deutsche Krimis.
Die Arbeit ist so gut wie nie langweilig, und fühlt sich oft gar nicht so wirklich wie Arbeit an. Nur in den Phasen mit wenig Kundschaft - Mittag und früher Nachmittag - zieht es sich ganz schön. Die Stoßzeiten sind die Vormittage, wenn die jungen Mütter mit Kinderwagen nach Erziehungsratgebern und Kinderbüchern und die Rentner nach Novitäten im Regionalia-Regal stöbern, und die Zeit ab etwa 15 Uhr bis Ladenschluss (18.30 Uhr), wenn die Feierabendkäufer kommen. Die beschweren sich dann auch gern, wenn sich die Buchladenbelegschaft um 18.30 Uhr erdreistet zu schließen - Konsum nebenan habe schließlich auch bis 22.00 Uhr auf. Ganz speziell ist der Samstag, der ist durchgehend Stoßzeit, wegen der Spaziergänger, der Wochenendtouristen und vor allem aufgrund der vielen Menschen, die kurzfristig ein Geschenk brauchen, weil ihnen eingefallen ist, dass sie am Nachmittag oder Abend ja auf einen Geburtstag eingeladen sind.
Gerade, wenn man wie ich viel an der Kasse arbeitet, bekommt man an einem einzigen Tag ein grandioses Potpourri an Menschen zu Gesicht. Ganz häufig hätten wir da Den Hektischen und Den Vertrottelten.
Ersterer kommt rein, guckt sich gar nicht erst um, sondern hält mir sein Smartphone unter die Nase, gern wortlos, auf dessen Bildschirm mich von der Amazon-Website ein Cover eines Kinderbuches anguckt (er würde es lieber dort bestellen, wenn er es nicht in einer halben Stunde schon bräuchte). Selten sucht dieser Typus nach ausgefallenen Titeln, weswegen die Wahrscheinlichkeit, dass es wirklich vorrätig ist, sehr groß ist. Ich hole es also aus dem Regal, zeige es ihm, er nickt flüchtig. Ich ahne schon, dass er es als Geschenk verpackt haben will, er bejaht und wirft mir einen panischen Blick zu, als ich auf die Geschenkbandschleife noch eine zweite Schleife in einer anderen Farbe binde. Er zahlt mit Kreditkarte, unterschreibt den Zahlungsbeleg noch flüchtiger als er damals seine Karte unterschrieben hat, und rast dann aus dem Laden, vor dem er seinen PKW geparkt hat.
Der Vertrottelte ist meistens weiblich. Sie ist so lange im Laden, dass man zwischenzeitlich ihre Anwesenheit vergessen hat und dann erschrickt, weil man sie eine halbe Stunde später irgendwo im Laden wieder entdeckt (der Laden ist nicht groß, aber da er seit Mitte Juni - unfassbar - mit großen Kalenderständern vollsteht, ist er kaum mehr überschaubar). Manchmal kommt sie auch aller 15 bis 20 Minuten an die Kasse und lädt dort ihre bisherige Buchauswahl ab, um in Ruhe und ohne dass ihr die Arme abfallen weiterzuschauen. Am Ende hat sich ein beeindruckender Stapel an Büchern, Schreib- und Spielwaren und Geschenkartikeln an der Kasse eingefunden. Es beginnt nun ihr Auswahlprozess, denn alles kann und will sie nicht mitnehmen. Vor der amüsierten Verkäuferin trennt sie in "Nehm ich mit" und "Lass ich hier", tauscht noch mal hin und her und eilt dann doch noch mal zu Regal X und Regal Y, um etwas gegen etwas ganz anderes einzutauschen. Erst findet sie in ihren Ziegelstein von einem Portmonee zwischen zig Kassenzetteln die Girocard nicht, dann lehnt das Lesegerät diese auch noch ab. Zu meiner Überraschung zieht sie einen Hunderter aus dem Geldfach.
Weitere wirklich charakteristische Kundentypen sind beispielsweise der Rentner (in den Ausführungen 'lieb' und 'verständnisloser pensionierter Akademiker'), der Stammkunde, der Vater in Begleitung zweier Kinder im Grundschulalter. Reizend auch die Grüppchen älterer Damen um die 60, die stets im Doppelpack auftauchen und ausschließlich Grußkarten mit floraler Motivik kaufen. Um diese und andere faszinierende Verhaltensweisen von Kunden im Einzelhandel geht es vielleicht ein ander Mal.