Quelle: Verlagspräsenz |
1913 (Verlag S. Fischer) vom Kulturjournalisten Florian Illies (ja, genau der, der Generation Golf geschrieben hat), Jahrgang 1971, ist ein großartiges Buch, voller überraschender großer und kleiner Entdeckungen. Es wird ein Panorama des Jahres 1913 entworfen, und zwar auch mal abseits des 'Vorabend des Großen Krieges'- Stempels, den dieses Jahr hat. Vielmehr geht es um die unfassbar vielen, gleichzeitig stattfindenden kulturellen Entwicklungen in diesem Blütejahr der Moderne. Natürlich vergisst der Autor das in nächster Zukunft drohende Unheil nicht ganz, am Horizont erscheint es immer mal wieder wie ein flüchtiger Blitz eines Gewitters, dessen Näherkommen nicht aufzuhalten ist.
Chronologisch von Januar bis Dezember sortiert, erfährt der Leser in den gleichsam charmanten wie witzigen und klugen Texten von Illies, was Kafka, Thomas Mann, Sigmund Freud, Albert Einstein & Co. in diesem Jahr so getrieben haben. Die einzelnen Epidosen haben Anekdotencharakter, die Fakten sind alle gut recherchiert, sie stammen etwa aus Tagebüchern, Briefen und anderen schriftlichen Zeugnissen. Hier und da lässt Illies die historisch gewordenen Protagonisten nach seiner Phantasie agieren, etwa was mögliche Gedankengänge oder Gefühle betrifft, dann aber immer schön im Konjunktiv.
Ganz nebenbei erfahren wir auch viel über das Europa (und Nordamerika) zu Beginn dieses Jahrhunderts, über das alltägliche und gesellschaftliche Leben. Ein kurzes Beispiel soll diesen Blogeintrag anschaulich abrunden:
"Die 'Welt der Frau', eine Beilage der 'Gartenlaube', meldet in Nummer 5: 'Das Abendkleid dieser Saison zeichnet sich durch luxuriöses Gepräge und phantastische Drapierungen aus, die auch der geschicktesten Schneiderin manch harte Nuss zu knacken geben.' Man kann sich für die schönsten Kleider direkt Schnittmuster bestellen. Interessant sind die möglichen Hüftbreiten: 116, 112, 108, 104, 100 und 96. Darunter ist nichts denkbar. Erst in der Nummer 9 hat dann die Redaktion ein Erbarmen und kündigte groß an ' Mode für schlanke Damen'! Und es folgt mit großer Anteilnahme der schöne Satz: 'Sie haben es nicht immer leicht, die schmächtigen, überschlanken Evastöchter, sich gut und der Mode entsprechend anzuziehen. Da heißt es zu Kompromissen zu greifen und das, was die Natur versagt, durch geschickte, faltige Arrangements zu kaschieren.' Was die Natur versagt - Schlankheit gilt 1913 noch als eine Art Schicksalsschlag."
(Florian Illies: 1913 - Der Sommer des Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2012, S. 79f.)
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