Freitag, Februar 14, 2014

ICE 892

In Leipzig steige ich in einen gut gefüllten ICE ein. Kurz vorher hat mein Freund mich in der Bahnhofshalle verfehlt, fast wäre es nichts mit der Verabschiedung am Gleis geworden.

Mir gegenüber sitzen zwei Frauen, sie gehören nicht zusammen. Die Blonde hackt auf ihrem Notebook herum und sieht aus wie jemand, der so eine Art Chef meines Freundes ist. Die Schwarzgefärbte am Fenster hat einen pinkgeringelten Schal und wird kurz nach Abfahrt angerufen. Dem viel zu langen Gespräch mit ihrer Mutter entnehme ich ein Vorstellungsgespräch als Servicekraft in einem Casino als bisherigen Tageshöhepunkt. Sie lebt eine Stunde Regionalzug von Berlin entfernt, bei ihren Eltern, ist um die Dreißig. Mutti, Mutti, Mutti, aus anderen Wörtern besteht das Telefonat kaum. Bis Berlin Südkreuz, das sie fast verpasst, schläft sie.

Es kommt mir in Berlin Hauptbahnhof so vor, dass ich die einzige Reisende bin, die nicht aussteigt. Alle Plätze um mich herum bekommen neue Besetzer. Blondie und Blacky werden ersetzt durch einen kauzigen Mann mittleren Alters und seine sehr liebenswerte, süße Tochter von vielleicht zwei Jahren. Er riecht stark alkoholisch; sein Aufzug erinnert an einen Gelehrten von vor hundert Jahren, die „Feuerzangenbowle“ kommt mir in den Sinn.


La la la, singt das Mädchen, der Vater hustet dazu unappetitlich. Eine Spielregel der Leute im Zug ist, dass man hier leise sei. Das sagt er ihr, als sie den Deckel des metallenen Mülleimers immer wieder fallen lässt. Er scheint sie selten zu sehen und auch sonst mit Kindern wenig anfangen zu können, versucht immer wieder englische und spanische Einsprengsel im Gespräch unterzubringen. Sie quittiert es weitestgehend mit Verständnislosigkeit. Auch die Reihenfolge der Bahnhöfe bis Kiel möchte sie partout nicht behalten, was wiederum ihn verständnislos zurücklässt.

Die Leuchtreklamen großer Versicherungskonzerne blinken mich von großen Hamburger Häusern an. In dem kleinen norddeutschen Metropolenhauptbahnhof lasse ich mich von der Menge aus dem Zug schieben.

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