Gastbeitrag gesendet von der Novastation
Ich hatte vor
drei Jahren auf meinem Blog Novastation
schon einmal, wenn auch nur
ansatzweise, über den eigenwilligen Umgang Leipzigs mit dem Wort „Tradition“
geschrieben. Es ging dabei vor allem um den Selbstbetrug der einstigen
Buchstadt, die in jedem März so tut, als wäre sie noch immer Buchstadt – ungeachtet
der Tatsache, dass es in Leipzig keinen großen Belletristikverlag mehr gibt.
Hierbei klammere ich die emsigen Indie-Verlage, allen voran den
poetenladen,
explizit aus.
Dass das
Ausruhen auf den Überresten von Tradition in Leipzig scheinbar selbst zu einer
Tradition geworden ist, beweist die jüngst in der LVZ (Ausgabe vom Dienstag,
4.3.2014) erschienene Doppelseite zur so genannten „Brautradition“ der
Messestadt. Die im Zuge der
Craft-Beer-Bewegung immer häufiger werdende
Berichterstattung über die Herstellung und Geschichte des Kulturgetränks freut
mich als Bierliebhaber und Heimbrauer natürlich sehr.
Zumal Bier immer noch nicht die gleiche
Wertschätzung wie etwa Wein oder hochwertige Spirituosen genießt, obwohl es
eine ähnliche handwerkliche und aromatische Komplexität aufweisen kann. Da Bier
aber immer mehr zum industriellen Massengetränk verkommen ist, legen viele
Biertrinker, und leider auch Brauer, scheinbar keinen großen Wert mehr auf
diesen potentiellen Reichtum.
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Journalismus oder PR? Sternburg Export dominiert LVZ-Sonderseite |
Einer der besten
Beweise hierfür ist das in Leipzig gebraute und in den „neuen Bundesländern“
zum Kultbier avancierte
Sternburg Export.
Die enorme Beliebtheit des Bieres sowie das clevere Marketing der Brauerei sind
nicht von der Hand zu weisen und beeindrucken auch mich auf gewisse Weise. Die
Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass
Sternburg
die letzte verbliebende Großbrauerei Leipzigs und somit fast zum alleinigen
Repräsentanten „Leipziger Bierkultur“ geworden ist. Dabei muss man jedoch
sagen, dass die Marke
Sternburg
gezielt im Niedrigpreissegment platziert ist und mit ca. 29 Cent pro halbem
Liter eine schnelle Verbreitung finden musste. Nun gibt es in der Warenwelt ein
Motto, das Konsumenten (auch ich) leider viel zu selten im Kopf haben: Hinter
jedem günstigen Preis steht die Geschichte seiner Entstehung. In Sachen Bier
sind derart niedrige Preise wie sie
Sternburg
hat nicht anders zu erklären, als mit der Verwendung billiger Rohstoffe für die
Herstellung eines charakterlosen Massenprodukts (
Sternburg benennt seinen Jahresausstoß mit über einer Million
Hektoliter). Das alles muss sich natürlich auch im Geschmack des Bieres
niederschlagen und tatsächlich konnte mir bisher kein „Sterni“-Trinker
beschreiben, wonach sein Lieblingsgetränk eigentlich schmecke, außer „Bier
eben“.
Dabei hatte ich
bereits angedeutet, dass Biere auch und gerade unter der ausschließlichen
Verwendung ausgesuchter Malze und Hopfensorten zu wahren Geschmacksbomben
werden können. Von frischen, säuerlichen Citrusnoten über komplexe Gewürz- und
Nussaromen bis hin zu einem wuchtigen Kaffee- und Schokoladengeschmack lässt
sich aus Hopfen, Malz, Wasser und der so oft vergessenen Hefe Erstaunliches
kreieren. Und diese Biere müssen nicht zwangsläufig im völlig (unnötig)
überteuerten Luxusbiersegment angesiedelt sein, die nur aus dem
Braufactum eigenen Verkostungsglas (eine
Anbiederung an die ach so elitäre Weinkultur) genossen werden dürfen. In Sachen
Sternburg Export würde ein solches
Verkostungsglas ohnehin sinnlos sein, weil es keine nennenswerten Aromen
besitzt, die man mit der Nase oder dem Mund aufnehmen könnte. Es besitzt
schlichtweg einen dumpfen Körper, der mit seinem panschig-alkoholischen Malz
einen metallischen Geschmack erzeugt, der von keinem Nachgeschmack der Welt
weggefegt werden könnte. Nachgeschmack gibt es beim „Sterni“ ohnehin nur als
leichteste Bitterkeit, die es auf merkwürdige Weise schafft in klebrige Süße
umzuschwenken.
Die Frage also,
was genau
Sternburg Export so beliebt
macht, wird sich mir bzw. meinem Geschmack wohl nie erschließen (dabei ist
„Sterni“ in Sache gehypter Kultbiere, die im Prinzip nach nichts schmecken,
in guter Gesellschaft). Jedenfalls scheint es vielen Leipzigern
besser zu schmecken als das 2012 eingestellte
Reudnitzer, das laut Zitat in der LVZ „zwar viel getrunken, aber
nicht geliebt“ wurde. Wobei ich mich frage, warum man ein Bier, das einem im
Grunde nicht schmeckt, trinkt. Sollte es den Leipzigern wirklich nur ums Saufen
gehen, haben sie mit
Sternburg
bekommen, was sie verdienen – und über Brautradition und Bierkultur brauchen
wir dann auch nicht mehr reden. Aber das war ja überhaupt der Grund dieses
Beitrags, die Leipziger Brautradition – in der LVZ dargestellt in Form einer
2/3 der Doppelseite ausfüllenden Sternburg-Promotion. Dass Leipzig einst über
30 Brauereien hatte, erfährt man im wahrsten Sinne des Wortes nur am Rand. Und
der einzige Artikel, der sich mit einer alten (freilich nicht mehr existierenden)
Brauerei beschäftigt, ist im Grunde nicht mehr als eine Liebesgeschichte mit
einem tüchtigen Hang zur Nostalgie und den guten, alten Zeiten als das Glas
Bier noch 40 Pfennig kostete. Auch sonst erfährt man nicht wirklich etwas über
Tradition oder was die Leipziger Sudhäuser besonders gemacht hat. Und das liegt
unter anderem daran, dass es vor der „Wende“ und erst recht vor dem Zweiten
Weltkrieg in so gut wie jeder größeren Stadt eine stattliche Anzahl an
Brauereien gab, weil fast jeder größere Gasthof sein Bier selbst braute. Eine
Tradition, der es nördlich von Oberfranken wirklich nachzutrauen gilt!
Dennoch machte
die Fülle an Brauereien eine Stadt nicht automatisch zur Bierstadt, wie etwa
Bamberg oder Dortmund. Und Leipzig schon gar nicht, obwohl die Messestadt einen
ganz und gar einzigartigen Braustil sein Eigen nennt: die
Leipziger Gose (die
ursprünglich aus Goslar kommt). Ein obergäriges Bier, dem neben Hopfen, Malz
und Wasser noch Milchsäure, Koriander und Salz zugegeben wird. Gose ist für
Bierfreaks auf der ganzen Welt eine wahre Spezialität und aufgrund der wenigen
Brauereien, die sie herstellen mitunter eine Rarität. Allerdings kann man nicht
wirklich behaupten, dass die Leipziger die Gose-Tradition übermäßig pflegen,
scheiden sich doch auch unter den Eingeborenen der Messestadt die Geister, ob
die Gose aufgrund ihres eigenwilligen Geschmacks überhaupt trinkbar ist. (Den
Touristen hingegen kündigt man das Bier gern als stadtweit beliebte Spezialität
an, die jeder echte Leipziger gern trinkt.) Dementsprechend gibt es in Leipzig
auch nur zwei explizit als Gose-Wirtschaften bezeichnete Gaststätten: die
Gosenschenke „Ohne Bedenken“ im Stadtteil Gohlis und die
Gosebrauerei „Bayerischer Bahnhof“.
Zum Glück stellt
die LVZ in ihrem Spezial den Braumeister des Bayerischen Bahnhofs, Matthias
Richter, vor, dessen Lokal als einziger echter Leuchtturm der Leipziger
Braukultur gelten kann. Zum einen braut Richter eine exzellente Leipziger Gose,
die einen wirklichen Beitrag zur weltweiten Bierkultur darstellt und den Bayerischen
Bahnhof zu einer Pilgerstätte internationaler Bierliebhaber macht. Zum anderen hält
er die wahre Tradition des Saisonbierbrauens hoch, die es ihm erlaubt mit
Hopfen und Malz zu experimentieren und Biere zu kreieren, die man in keinem
Supermarkt der Stadt kaufen kann.
Immerhin kommt
dann aber doch noch die Liga der Freaks, Connaisseure und Heimbrauer zu Wort.
Zum einen sind das Srdan und Sebastian, die
hier über Bier in Leipzig bloggen.
Zum anderen ist das Frank Neumeister, der das alte Handwerk des Bierbrauens in
seinem Böhlitz-Ehrenberger Reihenhaus aufrecht erhält. Und wahrlich, ich sage
euch (und verzeiht mir den pastoralen Ton), Heimbrauen ist mehr als einfach nur
nicht länger zum Supermarkt laufen zu müssen! Als Heimbrauer bestimme ich die
Qualität der Zutaten, die in mein Bier kommen. Als Heimbrauer bestimme ich wie
mein Bier schmeckt. Als Heimbrauer bestimme ich – und führe damit ein Handwerk
fort, das seit Jahrhunderten für die Erzeugung eines (in Maßen) gesunden,
natürlichen und qualitativ hochwertigen Lebensmittels steht. Und wer das jetzt
theatralisch oder sonst wie zu dick aufgetragen empfindet, dem rate ich es
selbst zu versuchen. Oder das „Sterni“, das „Krosti“, das
Beck’s, das
Krombacher,
das x-te TV-beworbene Massenbier einfach mal gegen ein Bier aus einer
Kleinbrauerei aus Franken, Bayern oder eben Leipzig einzutauschen. Von
letzteren gibt es übrigens noch das
„Brauhaus an der Thomaskirche“ und das
„Brauhaus Zum Kaiser Napoleon“ in Probstheida, für die die LVZ nur Nebensätze übrig hat.
Unerwähnt bleibt
auch in diesem Beitrag so einiges… z. B. das leidige Thema Ur-Krostitzer, die deutsche Biertrinkerkultur als solche, die
soziale Ächtung des Biers gegenüber des Weins, Craftbier, Fake-Craftbier,
Luxusbier und und und... über das ein oder andere wird noch an anderer Stelle
zu schreiben sein. Bis dahin wünsche ich allen Heimbrauern Gut Sud! Und allen
Biertrinkern (auch den „Sterni“-Fans) Prost!