Sonntag, November 27, 2016

Ein Wochenende in Hamburg

Beinahe einen Monat liegt das zweite Hamburg-Wochenende dieses Jahres zurück. Recht anstrengende sechs Fernbusstunden durch den goldenen Herbst dauerte es vomn Erfurt aus, mit Halt in Metropolen wie Nordhausen, Osterode und Hildesheim.

Wenn man die touristischen Grundlagen Hamburgs absolviert hat (Hafenrundfahrt, Speicherstadt, Michel, Reeperbahn, ...), lernt man das richtige Hamburg kennen. Wie schon während der Hamburg-Tage im Juni waren wir mit Einheimischen unterweg, in diesem Fall der lieben Anja, und haben gemütliche Kneipen und andere tolle Locations kennengelernt.

So ein Laden ist z.B. Omas Apotheke, wo sich trefflich Burger, Schnitzel und andere herzhafte Dinge essen lassen, der Laden ist stets voll, laut und dabei sehr heimelig. Die Bierpreise sind in Ordnung. Es muss ja nicht jedes Mal "Das alte Mädchen" sein. Anschließend kann man z.B. auf ein Craftbierchen, einen Cocktail oder ein Heißgetränk ins Deathpresso hüpfen. Da gibt es übrigens auch diese reizenden Papiertaschentuchpäckchen zu erwerben.

Suuupergut gefrühstückt haben wir im Klassenraum in Hamburg-Hamm. Klein und urgemütlich mit liebevollen Details, super freundliche Mitarbeiter und ein wirklich leckeres, in der Menge perfektes Frühstück. Unweit von da lag die kleine Einraumwohnung, die wir für zwei Nächte gemietet hatten. Die Gegend ist ruhig, ein typisches Wohngebiet, das nach der vollständigen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg im typischen Wohnungsbaugenossenschaften-Stil wieder aufgebaut wurde.

Nun aber zum eigentlichen Anlass des Hamburg-Ausfluges: Die White Lies spielten im Uebel&Gefährlich (ja, mit Ue und ä) in St. Pauli. Diese Konzertlocation befindet sich im vierten Stock eines Hochbunkers aus der Nazi-Zeit - das bedeutet superdicke Mauern und keinerlei Lärmbelästigung für umliegende Immobilien. Der Laden fasst 1.000 Leute, ist schön gestaltet. Nachdem der Sound bei der generell mäßigen Vorband überschaubar war, hat es dann zum Hauptact richtig gut gepasst. Das Publikum war sanges- und tanzfreudig, erstaunlich textsicher und der ganze Abend rundum gelungen. Die Band schien auch richtig viel Spaß zu haben und sich über die gute Stimmung zu freuen. Vor allem bei den großen Hits wie "Bigger than us", "To lose my life" oder "There goes our love again" ist die Menge wunderbar ausgerastet.

Foto: Anja

Außerdem immer wieder toll: Die Hamburger Kunsthalle nahe Hauptbahnhof. Mit tollen Stücken in der Dauerausstellung, z.B. von Caspar David Friedrich, Rembrandt. Die aktuelle Sonderschau, die sich mit einer bedeutenden Sammlung surrealistischer Meisterwerke von Dalí über Magritte bis Miró befasst, lohnt sich sehr.

Donnerstag, November 24, 2016

Filmrückschau

Noch ahnt Sara nichts von ihrem Martyrium
Das weiße Kaninchen (2016) ... ein deutscher TV-Film mit Devid Striesow über die Gefahren des Internets insbesondere für Kinder und junge Mädchen. Was jetzt nach erhobenem Zeigefinger klingt, ist gar keiner, denn die Moral ist in diesem sehr gelungenen Drama nicht nach dem Schwarzweiß-Schema verteilt. Es geht um die 13-jährige, so schüchterne wie unerfahrene Sara, die im Netz an Typen gerät, auf deren Chatnachrichten sie lieber nicht geantwortet hätte. Ohne zu viel verraten zu wollen: Sara und dem Zuschauer wird einiges zugemutet, aber das ist (zumindest für den Letzteren) gut so. Aufrüttelnd! Regie führte Florian Schwarz, der u.a. auch schon für den sensationellen Murot-Tatort "Im Schmerz geboren" verantwortlich war.

Tatort: Taxi nach Leipzig (2016) ... Über den 1000. Tatort ist schon viel geschrieben und kommentiert worden. Dem Zuschauer kann man es ja selten recht machen. Der Film trägt den gleichen Titel wie Tatort Nr. 1 aus dem Jahr 1970 und bildet ein Crossover aus den Ablegern Kiel und Hannover; es sind also Kriminalhauptkommissarin Charlotte Lindholm vom LKA Niedersachsen und ihr Kollege Klaus Borowski involviert.
Der Film entpuppt sich als Kammerspiel in einem Taxi. Der Fahrer, ein schwer traumatisierter ehemaliger Soldat, tötet im Affekt einen Kollegen von Borowski und nimmt diesen und Lindholm dann als Geiseln. Er fährt kurzerhand mit ihnen nach Leipzsch, wo seine verflossene Liebe Nicki am nächsten Tag seinen ehemaligen Vorgesetzten aus dem Afghanistan-Einsatz heiraten wird, der wiederum der Schuldige an seinem psychischen Zustand zu sein scheint...
Ziemlich spannend, mit einigen stilistischen Experimenten, die teils glücken, teils holprig wirken.

Quelle

Donnerstag, November 10, 2016

Musik bitte!

Mit dem Herbst begann auch wieder die Indoor-Konzert begonnen. Und in kleinen, aber feinen Erfurter Konzertlocations hat der Oktober mir zwei tolle musikalische Abende beschert.

Anfang Oktober ging es zu "Tom Schilling and the Jazz Kids" in den Erfurter Museumskeller. Diese Musikkneipe befindet sich tatsächlich im Keller des Volkskundemuseums, ein historischer Bau am Juri-Gagarin-Ring. Und ja, Tom Schilling meint genau den deutschen Schauspieler, den ihr vielleicht durch seine großartigen Darstellungen in "Oh Boy", "Crazy" oder "Unsere Mütter, unsere Väter" kennt. Mit seiner Band macht er eine wilde Mischung; deutscher Chanson irgendwo zwischen Hildegard Knef und düsteren Nick Cave-Songs. Schilling hatkeine Jahrhundertstimme, das schmälert den Konzertgenuss allerdings nicht. Es macht Spaß, ihn und seine vierköpfige Band durch die Setlist stürmen zu sehen. Nachher stehen sie alle euphorisiert am Merchandisestand, freuen sich über jeden, der eine EP oder ein Poster kauft, signieren alles bereitwillig. Tom Schilling erfüllt sogar begeistert Fotowünsche und wirkt hautnah genauso, wie er schon kurz zuvor auf der Bühne und generell auf Leinwand rüberkommt: Ursympathisch!

Im wunderbaren Erfurter Café/Bar/Kulturort Franz Mehlhose gab es dann am 22. Oktober Elektronisches auf die Ohren. ARPEN ist ein Leipziger Klangkünstler, der seine Songs nach Fotografien komponiert. Auf der Bühne stand der scheue Künstler gemeinsam mit einem Percussionisten und einem Hipster vor dem Herrn am Keyboard. Die Musik war fantastisch, die Interaktion mit dem Publikum eher mau. Am Ende gingen alle drei während des letzten Tracks von er Bühne, was die Zuschauer eher mäßig fanden und entsprechend verwirrt nur dünnen Applaus spendeten. War's das jetzt? Kommt da noch was? Es kam nichts mehr.

Sonntag, November 06, 2016

Zurück in die Vergangenheit oder: No Spaß without Dancing!

Gestern habe ich eine verrückte Zeitreise angestellt: Ich bin nach Leipzig gefahren und habe mich mit meiner Freundin Sandra, die ich seit Jugendtagen kenne, in einem Hostel am Lindenauer Markt eingemietet ("Blauer Stern", sehr zu empfehlen) - also mitten in meiner alten Hood. Grund des Ausfluges in die alte Heimat: Placebo, meine alte Jugendliebe, spielten in der Arena. Dort trafen wir auch noch eine weitere Freundin, mit der ich in teilweise noch weiter zurückliegenden Jugendtagen die Liebe zu Bands wie Nirvana, Linkin Park und eben Placebo teilte. Es war irgendwo zwischen magisch und merkwürdig, das alles.

Die Arena war gut gefüllt, nicht ausverkauft. Das Publikum bunt gemischt - viele Menschen jenseits der 40, immerhin war das Konzert Teil der Tour zum 20-jährigen Band-Jubiläum, aber auch einige sehr junge. Gruftis, Muttis, Studenten, alle waren da. Und eben Sandra und ich, die wir uns im Grunde sogar wegen Placebo kennen.

***

1. Opener: Ein bis dato unveröffentlichter alternativer Videoclip zum Hit "Every you, every me" aus dem Jahr 1999. Damit kriegt man das Publikum natürlich. Dem Sound und Stil der "alten" Placebo trauert heute so manch einer hinterher.



2. Pure Morning (1998): Gleich der nächste Kracher. Im Grunde könnte ich nach diesem Song schon nach Hause gehen - mehr Placebo-Lieblingsliedalarm gibt es für mich nicht.

3. Loud like Love (2013): Für einen der aktuelleren Songs ist der ganz okay, sehr poppig-schmissig. Den meisten gefällt es richtig gut, mein Tanz-Level schraubt sich etwas runter. Ich werd' mit dem letzten Studioalbum einfach nicht warm.

4. Jesus' Son (2016): Der (etwas überkritische) Rezensent des München-Konzerts am Vortag merkt in der Augsburger Allgemeinen ganz richtig an, dass dieser nigelnagelneue Song, eine Beigabe zum jüngst erschienenen Best Of-Album "A Place for us to dream", ein kleiner Stimmungsdämpfer ist. Es wurde tanzbar und mit Hits begonnen, "Jesus' Son" kennt anscheinend der Großteil des Publikums noch nicht.

5. Soulmates (2003): Als ob Brian Molko und Stefan Olsdal - Placebo ist seit Februar 2015 offiziell nur noch ein Duo - etwas gut zu machen hätten, stimmen sie dann "Soulmates" an, die etwas kantigere Version des Songs "Sleeping with Ghosts".

6. Special Needs (2003): Und es wird noch besser - mit "Special Needs" folgt eine der absoluten Perlen der Bandgeschichte. Zu dem 2003 erschienenen Song gehört übrigens auch eines der besten Musikvideos von Placebo.

7. Lazarus (2016): Siehe No. 4. Ein gänzlich neuer Song, der als solcher nicht überzeugt. Er klingt melodisch ein bisschen wie der Aufguss von "Summer's Gone" vom 1998er Album "Without you I'm nothing". Das ändert nichts daran, dass das wirklich gut gelaunte Publikum zu allem Spaß hat und tanzt. Die Band ist übrigens auch ausnehmend gut aufgelegt - bei Diva Brian nicht unbedingt selbstverständlich.

8. Too May Friends (2013): Der schlechteste, peinlichste Placebo-Song aller Zeiten. Wie schrieb Musikjournalist Sven Kabelitz auf laut.de: "Ungelenk widmen sich Placebo dem Thema Online-Kommunikation und soziale Netzwerke. Dabei klingt der mittlerweile 40-jährige Molko wie ein alter Mann, der mit gestelzten Worten und hohem Fremdschamfaktor über Dinge spricht, die er nicht mehr versteht." Aber der Refrain ist catchy, die Menge tanzt fröhlich.

9. Twenty Years (2004): Yay! Endlich hat die Band beim Tauchen wieder eine Perle entdeckt, die auch noch wie die Faust aufs Auge zum Anlass der Tour passt. Die auf den drei übergroßen und den vielen kleinen Leinwänden eingesprengten Ausschnitte aus dem künstlerisch wertvollen Musikvideo und die Live-Performance geben ein tolles, stimmiges Bild. Ich träume.

10. I know (1996): Es rockt und fetzt und melancholiert. Placebo at its best. Die Fans, die seit 1996 dabei sind oder so wie ich vor allem auf die ersten drei Studioalben der Band schwören, sind außer Rand und Band. The past will catch you up as you run faster.

11. Devil in the Detail (2009): Und gleich schicken sie einen der schwächsten Songs hinterher! Ich finde es interessant, dass die Band hinsichtlich der aktuelleren Sachen besonders an jenen Liedern live großen Spaß hat, die mir am wenigsten zusagen.

12. Space Monkey (2006): Das Album "Meds" von 2006 markiert für mich die Wende zwischen den phantastischen Placebo und den weniger phantastischen. Das liegt u.a. an diesem Song.

13. Exit Wounds (2013): Das... kenne ich gar nicht (mehr).

14. Protect me from what I want (2004): Mit diesem Song verbinde ich einen Schüleraustausch in Frankreich. Morgens im Nebel mit dem Bus von der Gastfamilie über ein paar Dörfer ins collège nach Sarreguimines. Hier sind Anne und Band wieder ganz beieinander.


15. Without you I'm Nothing (1998): Mein emotionaler Höhepunkt des Abends - jener Song, den die Band einst mit ihrem Mentor und Förderer David Bowie aufgenommen hatte. Die Band schickt liebevolle Grüße gen Himmel, auf den Leinwänden sind Bowie-Portraits und Ausschnitte gemeinsamer Auftritte zu sehen.

16. 36 Degrees (1996): Eines meiner liebsten Lieder vom Debütalbum, ich bin ganz aus dem Häuschen, als ich die ersten Akkorde erkenne. Leider wird das Lied in einer "slow version" gespielt, die dem Song etwas den Drive nimmt. Dennoch großartig, es einmal live zu hören!

17. Lady of the Flowers (1998): Eigentlich die größte Überraschung des Abends. Und spätestens hier wird deutlich, dass die Band kein klassisches Greatest Hits-Konzert spielt, sondern ihr persönliches Best Of. Diesen Song vom 1998er-Album kennen wirklich nur Leute, die sich auch abseits der Hits mit der Band befassen. Und er markiert gleichzeitig das Ende des "melancholic part" der Show, wie ein kommunikationsfreudiger Brian Molko verkündet (am Vortag in München soll die Kommunikation mit dem Publikum eher mäßig gewesen sein). Denn wie sagt er so schön (auf Deutsch): "Zu einer Geburtstagsparty gehört Spaß." Und: "No Spaß without dancing!"

18. For what it's worth (2009): Der tanzbare Spaß beginnt mit dem stärksten Song des 2009er Albums "Battle for the Sun". Und die Menge tobt.

19. Slave to the Wage und 20. Special K (2000): Wo denn Songs vom dritten Album "Black Market Music" blieben, hatte Sandra mich kurz vorher gefragt. Und hier kommen sie, die wohl grandiosesten Minuten des Abends. Mit diesem beiden Auskopplungen bringt die Band die Arena und uns zum explodieren. Es wird gehüpft, getanzt, gepogt, die eingängigen Refrains der Band entgegen geschrien. Badabdabdabdadada!

21. Song to say Goodbye (2006) und 22. The Bitter End (2003): Ein wenig unsubtil, aber eine unglaubliche Party heraufbeschwörend läuten diese beiden Songs das Finale des Abends ein. Die Stimmung bleibt entsprechend der Tanzbarkeit beider Hits auf einen enorm hohen Level.

Foto: Sandra

Zugaben:

23. Teenage Angst (1996): Auch dieser Song vom Debütalbum wird in einer "slow version" gespielt. Für mich etwas unverständlich, weil das schon ein ziemlicher Downer für die Halle ist, die die Band mit minutenlangem frenetischen Applaus zum Zugabenblock auf die Bühne gefeiert hatte und weiterhin in Tanzlaune ist.

24. Nancy Boy (1996): Aber hier geht die Party schon weiter. Die dritte Single, die die Band jemals veröffentlicht hat, hatte damals in den 90ern das Standing der Band in der LGBT-Szene zementiert. Entsprechend stolz reckt Stefan Olsdal, selbst homosexuell, seinen regenbogenfarbenen Bass in die Höhe.

25. Infra-Red (2006): Auf Platte ein okayer Song, live eine Hymne!

26. Running up that Hill (2003): Dieser Song, ein Kate Bush-Cover, markiert während der ganzen Tour das Ende von Placebo-Konzerten. Er stammt von der sensationellen CD "Covers", die einer Sonderedition des 2003er-Albums "Sleeping with Ghosts" beiliegt. Die Band zieht den Song ziemlich in die Länge und verschwindet dann sehr plötzlich, was für einen etwas merkwürdigen Abschluss des Abends sorgt.

***

Puuuh... erst mal durchatmen. Wir sind schweißgebadet und sehnen uns nach frischer Luft. Aber wir sind auch: glücklich. Weil wir um die Launenhaftigkeit und Eskapaden insbesondere des Sängers wissen und zur "früher waren sie so viel besser"-Fraktion zählen, ist der Besuch eines Placebo-Konzerts stets mit einer skeptischen Erwartungshaltung verbunden. Umso begeisterter, beseelter sind wir davon, Perlen wie "I know" oder "Without you I'm nothing" live gehört und an der "Special K"-Party teilgehabt zu haben. Die Setlist, die übrigens auf jeder Tour-Station gleich ist, ist allerdings stimmungsmäßig etwas unausgewogen, die Dramaturgie etwas unausgegoren. Das, was der Abend mir gefühlsmäßig gegeben hat, macht das aber wieder wett.