Dienstag, Januar 18, 2011

Heute im Literaturwissenschaftsseminar ...

"Ich finde wir sollten diese Geschichte als eine Parabel lesen. Die beiden Protagonisten könnten für verschiedene Herangehensweise des Menschen an sein Leben stehen." - "Oder es ist eine Parabel für das Scheitern." - "Das Gebirgsmassiv, das im Text vorkommt, könnte parabolisch für den zeitgeschichtlichen Kontext stehen." - "Ich würde gerne des Aspekt des Scheiterns noch einmal aufgreifen: der Text ist eine Parabel für das Schreiben an sich, und der Tod der Figuren für das Scheitern am Schreiben."
Himmelherrgottnochmal. Muss den alles eine Parabel für irgendwas sein? Welchen Sinn hat denn noch eine Kategorie wie Parabel, wenn (angehende) Literaturwissenschaftler einhellig davon ausgehen, dass jeder Aspekt eines fiktionalen Textes eine Parabel, also ein Gleichnis für irgendetwas ist, dass über dem Text steht; den übergeordneten, ideellen Sinn quasi (so wie in Lessings Nathan die drei Brüder in der Ringparabel für die drei Weltreligionen stehen). In dieser Seminarsituation wird meiner Meinung nach ganz normale mimesis* mit einer Parabel verwechselt. In einem Text über Bergsteigen kann es vielleicht auch einfach nur um Berge gehen, wie sie halt in den Alpen herumstehen. Wobei ich diesem Text noch nicht mal absprechen will, dass in ihm ein höherer Sinngehalt steckt. Aber wenn man Parabel als so etwas Allgemeines, Schwammiges ansieht, wie es hier geschehen ist, dann kann man sicherlich in jeder Textstelle eine Parabel finden, in der man eine finden möchte ... für mich ist eine Parabel ein ziemlich starkes Stilmittel, das nicht punktuell in einer Wendung vorkommt (das sind dann Vergleiche, Metaphern, Bilder ... wieauchimmer), sondern eher ein kleiner Text im Text ist (wieder Paradebeispiel Ringparabel). Ich kann es einfach nicht leiden, wenn ich 90 Minuten lang in einem Seminar hocke, in dem mit ein und demselben Begriff, der eigentlich ganz fassbar ist, so inflationäre Schindluder getrieben werden.

Diskursdiskursdiskursdiskursdis- ...

*Nachahmung der Natur, also: im Text kommen Sachen vor, die es in der Realität gibt ... jede menschliche Liebesgeschichte, jede Beschreibung einer realistischen Landschaft, jeder geschildeter Gegenstand des Alltags, etc. ist mimetisch.

4 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Erfrischend.

anja hat gesagt…

springende bälle beschreiben im übrigen auch parabeln ... und damit vermutlich sinnbildlich das auf und ab im leben - das besteigen von bergen und nicht zu vergessen: das scheitern! vergiss ja nicht das große scheitern, wenn es um literatur geht ... und um studentische seminar-diskussionen!

Unknown hat gesagt…

Genau deswegen bin ich froh, dass ich dieses Semester kein Literaturseminar belege ;-)

Clark Nova hat gesagt…

a) die parabel als stilmittel zu definieren finde ich ohnehin fragwürdig. die parabel ist eine form, nämlich eine lehrhafte geschichte mit gleichnischarakter.

b) wenn man mal etwas mehr zeit hat: http://www.amazon.de/Die-Enden-Parabel-Thomas-Pynchon/dp/3499135140/ref=sr_1_2?s=books&ie=UTF8&qid=1295456615&sr=1-2