Freitag, April 26, 2013

Immer diese Köche!

Im Gegensatz zu Marcel Reich-Ranicky sehe ich mir Kochsendungen im TV ganz gerne an. Weniger die Koch-Shows wie "Topfgeldjäger" oder "Lanz kocht", sondern eher Dokumentationen über die Kulinarik bestimmter Regionen. Recht empfehlenswerte Formate werden da beispielsweise mit der österreichischen Köchin Sarah Wiener (50) produziert, beispielsweise die Reihe "Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener in ...". 

Im Rahmen dieser Serie hat Frau Wiener schon Italien, Frankreich und Großbritannien bereist und jeweils zehn landestypische Gerichte zubereitet. Das besonders Interessante an diesem Format ist, dass sie für die Zutaten die alteingesessenen lokalen Produzenten aufsucht. So erntet sie englischen Breakfast-Tee auf der einzigen Teeplantage Europas (in Cornwall), schießt sich in Schottland ihren Sikahirsch und in Nordwestengland ihr Moorhuhn selbst und besucht viele Bauernhöfe, von denen sie das Gemüse und Obst für die Gerichte bezieht. Auch nach Jacobsmuscheln taucht sie höchstpersönlich und angelt sich für Fish'n Chips den Kabeljau. Dabei ist sie erfrischend uneitel und macht sich auch mal dreckig.
Ein tolles Konzept also - man lernt die ortsansässigen Lebensmittelproduzenten kennen und sieht, was und wie dort geerntet, geschlachtet, etc. wird. 



Zu meiner Überraschung werden die Sendungen in den Mediatheken von sehr vielen Leuten mit einem oder null von fünf Sternen bewertet. Das brachte mich dazu, mal weiter zu googeln. Es gibt eine regelrechte Sarah Wiener-Hass-Fraktion. Also Leute, die ihre Restaurants und TV-Sendungen im Internet - meist unbesucht und ungesehen - von Vornherein aus Aversion gegen die Person Sarah Wiener mit der niedrigsten Note bewerten (natürlich gibt es da auch 'normale' negative Bewertungen, die einfach durch Unzufriedenheit beim Restaurantbesuch entstanden sind). Es gibt auch Foren, in denen wahrhaftig gehetzt wird gegen sie. Da wird sie als "Ernährungsideologin" bezeichnet, als "arrogant" oder "selbstgerechtes Arschloch", andere monieren, dass ihr die richtigen Koch-"Moves" fehlen würden, da sie ungelernt ist. Alle Meinungen stammen selbstverständlich von TV-Konsumenten, die Frau Wiener nur von der Mattscheibe kennen.

Sarah Wiener ist eine spezielle Person, das kann man nicht anders sagen. Ihre Art mag man - oder eben nicht. Sie ist ein absolut offener Mensch, der jedem neuen Eindruck sofort eine Chance gibt, sie kann aber auch überdreht und aufdringlich wirken. Ich mag sie auch nicht in jeder ihrer Sendungen, manchmal ist sie ziemlich nervig. Ein großer Kritikpunkt an ihr ist aber für viele, dass sie keine gelernte Köchin ist und eine sehr bewegte, ungewöhnliche Vita vorzuweisen hat:

Mit 17 Jahren brach sie die Schule ab und trampte durch ganz Europa. Erst mit 24 Jahren wurde sie wieder sesshaft und zog nach Berlin - mittlerweile mit einem Sohn im Gepäck. Erst bezog sie Sozialhilfe, dann kellnerte sie und fing schließlich an, in der Küche des Restaurants ihres Vaters zu jobben. Nach und nach wurde das größer: sie kochte irgendwann täglich das Mittagessen für die Mitarbeiter einer Werbeagentur, verkaufte selbstgemachte Torten und Kuchen. Nach einem Abendessen, das sie für eine Filmcrew gekocht hatte, wurde sie von Tilda Swinton gefragt, ob sie das nicht öfter machen wolle, und schwupps kaufte sich Frau Wiener einen alten NVA-Küchenwagen und wurde zu einer sehr gefragten mobilen Filmsetköchin. 
Seit 1999 hat sie mehrere (Museums)Restaurants in Berlin und Biobäckereien eröffnet. Diese laufen ziemlich erfolgreich. Seit Mitte der 2000er Jahre ist sie öfters mit eigenen TV-Formaten zu sehen und hat zig DVDs und Bücher veröffentlicht. Sie ist Schirmherrin und Mitglied diverser Organisationen und Stiftungen, die sich mit bilogischer Vielfalt und Nachhaltigkeit sowie gesundem, gemüsereichem Essen befassen; für ihr Engagement ist sie vielfach ausgezeichnet worden. Seit 2008 ist sie mit dem Schauspieler Peter Lohmeyer (Soul Kitchen, Das Wunder von Bern) verheiratet und heißt bürgerlich Sarah Lohmeyer.

Für mich persönlich ist die Begründung "Ich finde sie nicht sympathisch" für so heftige Hasstiraden gegen einen Menschen nicht ausreichend. Ich kann es mir nur durch eine gewisse Missgunst erklären, was da teilweise abgeht. Für manche ist sie wegen des fehlenden Schulabschlusses, der fehlenden beruflichen Ausbildung, der fehlenden Kenntnis darüber, wer der Vater ihres Sohnes ist, und der kurzen Phase des Sozialhilfebezugs eine Schmarotzerin, die diese Karriere nicht verdient habe. Ich finde das menschlich ehrlichgesagt unterste Schublade.

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