Samstag, 21. November 2009; Arena Leipzig
Trotz dessen, dass ich mich in den vergangenen 3 Jahren selten positiv über meine einstige Jugendliebe Placebo geäußert habe, konnte ich das Konzert, das vergangenen Samstag in der nicht ganz ausverkauften Arena Leipzig stattfand, kaum erwarten. Zu lange hatte dieses Vorhaben schon auf sich warten lassen. Zu den Tourneen davor war ich entweder noch zu jung, zu krank oder zu unwillig 40-45€ für diese Band auszugeben. Dass ich für dieses Konzert sogar reichlich 50 € ausgegeben habe, war eher ein Akt der Verzweiflung: billiger werden sie in Zukunft sicher nicht werden, eher im Gegenteil. Und besser werden sie wohl leider Gottes auch nicht mehr werden, wiederum erwarte ich eher das Gegenteil. Der Zenit lag wohl vor ca. einem Jahrzehnt. Aber egal, los gehts.
Beim Mir-die-Beine-in-den-Bauch-stehen vor Konzertbeginn und während der erstaunlich langweiligen Vorband Expatriate (klanglich gesehen wohl ein uneheliches Kind von U2 und Placebo) musterte ich das restliche Konzertpublikum. Da waren die obligatorischen angetrunkenen Mittdreißiger, die wohl noch zwei, drei Jahre brauchen werden, um festzustellen, dass sie alles andere als hip sind. Da waren die Vollblutgruftis, mit Kunsthaarteilen, Korsett, Plateauschuhen und allem drum und dran. Da war das unvermeidliche schwerverknallte junge Paar, das bei jeder Ballade ineinander hineinkriechen könnte und das zum Leidwesen aller Umstehenden beinahe auch tut. Indiebandshirt tragende Studenten, Ü-40-Publikum, solariumsüchtige und weißgestiefelte Tussis, BWL-Studenten. Und dann ich noch irgendwo.
Die Vorband begann sogar wenige Minuten vor offiziellem Beginn der Veranstaltung und spielte eine reichliche halbe Stunde. Die circa 30 Minuten, die danach bis zum Auftritt des Mainacts verstrichen, wurden dem Publikum mithilfe von Kurzfilmen, produziert von Placebo-Fans, über die zwei großen Leinwände versüßt. Dann, gegen 21.10 Uhr, ging es endlich richtig los ...
Pustekuchen! Richtig los ging fast an dem ganzen Abend nichts. Das lag nicht an Placebo. Die Band war gut drauf, die Qualität der Musik war großartig. Placebo verstehen ihr Handwerk, und das kommt live besonders zum Vorschein; ich habe selten so eine gute Live-Band erlebt. Aber ich habe auch noch nie in meinem Leben so ein lustloses Publikum erlebt. Da, wo ich stand - und das war nicht sonderlich weit hinten, sondern etwa 15m vor der Bühne - war man schon ein Exot, wenn man nur tanzte oder hüpfte. Wenn ich an all diese merkwürdigen Gestalten denke, die mir im Vorfeld so aufgefallen haben, wundert mich das rückblickend nicht wirklich ... Es gab eine Zeit, da war Placebo eine Band für Leute mit (oder auf dem Weg zum) Abitur und Hochschulstudium. Musik für Menschen, die sich auch mal für einen Songtext interessieren und sich intensiv mit den Musikern, die dahinter stehen, beschäftigen wollen. Das scheint vorbei zu sein ... schon deswegen finde ich es unglaublich schade, dass ich es nicht früher auf ein Konzert der Band geschafft habe. Zur Setlist.
- For what it's worth: Die erste Singleauskopplung des aktuellen Albums eignet sich 1a als Opener. Druckvoll, temporeich, mitreißend. Im Normalfall müsste die Arena da schon toben. Es tobten maximal die ersten zwei Reihen. Und ich.
- Ashtray Heart: siehe oben. Saugeile Performance, kann man nicht anders sagen. Der Hit des aktuellen Albums. Nichts passiert.
- Battle for the Sun: schon wieder siehe oben. Ich finde das Lied (ebenfalls vom neuesten Album) doof und auch live hauts echt keinen vom Hocker, aber ich weiß, dass es vielen Fans anders geht. Von daher kann ich nur ratlos bleiben.
- Soulmates: Hätte ich mir fünf Lieder wünschen dürfen, dann wäre dieses dabei gewesen. Eines der stärksten Lieder des vierten (von bis dato sechs) Studioalben und vielleicht auch eines der stärksten der Band generell. Das juckt das Publikum wiederum wenig.
- Speak in Tongues: Erst mit dieser Live-Darbietung des Songs habe ich ihn schätzen gelernt. Hat mich regelrecht aufgewühlt und äußerst positiv überrascht. Das Schmachten und Darben, das kann Brian Molko eben immer noch gut.
- Follow the cops back home: Ich habe die Begeisterung für diesen Song des vorherigen Albums nie verstanden - ich find ihn eher so lala, weiß aber, dass es den meisten damit anders geht. Aber immerhin: bereits bei den ersten Takten geht eine lautstarke Befürwortung durch die Reihen. Da wird doch wohl nicht etwa jemand auftauen?
- Every you every me: Erwartungsgemäß lockert sich die allgemeine Stimmung mit diesem Evergreen des zweiten Albums der Band aus dem Jahre 1998. Von gelöster, guter Konzertstimmung ist der Großteil der Arena aber nach wie vor weit entfernt. Bei mir ist jetzt Party angesagt ;). Es wundert mich im Übrigen, dass sie dieses Lied noch spielen. Die Ärzte spielen Männer sind Schweine auch schon eine Weile nicht mehr.
- Special Needs: Für mich DAS Lied des vierten Albums. Ich bin zwischenzeitlich regelrecht überwältigt. Ich sehe mich ein bisschen im Publikum, gegen das ich mittlerweile einen kleinen Hass entwickelt habe, um: kaum einer ist hier textsicher. Viele hier kennen Placebo nur auf Basis der letzten zwei Alben. Trotz dessen, dass ich hier eine der Jüngsten zu sein scheine, komme ich mir alt vor.
- Breathe underwater: Braucht kein Mensch. Auch live nicht.
- Because I want you: Vor diesem Song macht Molko eine kleine Ansage in erstaunlich gutem Deutsch. Er kündigt eine kuscheligere Phase des Konzertes an. Jetzt machen wir ein bisschen weniger Rock'n Roll; jetzt machen wir Rock'n Schwul. Himmel, ist der drollig. So gut wie an diesem Tag - vor allem frisürlich - sah er übrigens schon seit Jahren nicht aus. Dann spielen sie eine mir unbekannte Variante von Because I want you. Aus dem schnellen Hit des Vorgängeralbums wird eine drückende, tiefgreifende Ballade. Für mich das Highlight des Konzerts.
- Twenty Years: Dies war ein Bonus Track auf der Singles Collection, die kurz nach dem vierten Studioalbum im Jahre 2004 erschien. Kein Meilenstein, live aber nett anzuhören.
- Julien: Ich kann mich kaum mehr daran erinnern, dass das gespielt wurde.
- The never-ending Why: Das Konzert befindet sich definitiv in seiner schwächeren Phase. Live kommen die teils grausig-schwachen Songs des neuen Albums zwar besser, aber noch lange nicht gut.
- Blind: Dieser Song befindet sich auf dem Vorgängeralbum. Ja, nett, irgendwie. Ich wünschte mir an dieser Stelle sehnlichst irgendein Punkpopbrett vom Debut der Band.
- Devil in the Details kam stattdessen (siehe Albumkritik im vorherigen Blogpost). Egal - ich hab gute Laune, ich hüpf heute zu allem, solange es nur von Placebo kommt ;).
- Meds: Langsam frage ich mich, ob heute überhaupt noch Songs gespielt werden, die vor 2004 veröffentlich worden sind. Die bisherigen drei Ausnahmen haben mich noch nicht so recht befriedigt. Aber bei Meds habe ich wieder so richtig Spaß. Dieses generell gute Lied ist live noch viel besser. Im Original handelt es sich dabei übrigens um ein Duett mit der The Kills-Sängerin Alison Mosshart, die zur Perfektion nur noch gefehlt hätte.
- Song to say Goodbye: Das Ende des Konzertes deutet sich mit diesem Song ganz unsubtil an. Aus sicherer Quelle weiß ich aber, dass noch zwei Zugaben à drei Songs folgen werden.
- Bright Lights: Nach nicht mal einer Minute beginnt die Zugabe schließlich und zwar mit meinem persönlichen Favoriten des neuen Albums *hüpf hüpf*. Ich werde dezent euphorisch und so langsam aber sicher ist das auch im restlichen Publikum angekommen.
- Special K: Endlich mal wieder ein alter Song und endlich eine zur Hälfte tanzende Menge. Mir gehts zu diesem Zeitpunkt richtig richtig gut.
- The Bitter End: Jaaaaaaaaaaaa!
- Trigger Happy: Mit diesem mir unbekannten Song beginnt der zweite Zugabenblock. Hm, das Lied ist ein bisschen Banane, wenn ihr mich fragt. Egal - Party.
- Infra-Red: Für mich eine der Überraschungen des Abends. Dieses mich auf Platte derart nervende Ding von Lied gefällt mir in diesem Kontext richtig gut. Mit der Objektivität ist es aber eh schon nicht mehr so weit her.
- Taste in men: Dieser Oldie der Band ist ein veritabler Rausschmeißer. Aus dem sowieso schon sehr elektronisch daherkommenden Song hat die Band ein Elektrogeschwurbel vom Feinsten gemacht. Damit kann keiner so recht was anfangen. Außer mir.
Und dann ... ist alles vorbei. Knapp zwei Stunden hat es gedauert und ich bin nassgeschwitzt. Nicht vielen geht es so. Mann, ich bin immer noch echt sauer auf diese Leute dort. Manche sind sogar zum Konzertbeginn ganz hinter gegangen, weil es ihnen vorne zu laut und zu warm war. In meinen schlimmsten Phantasien kette ich diese Menschen vorm ersten Konzert beim Full Force Festival vorne in der ersten Reihe an den Begrenzungszaun und lasse sie erst nach dem allerletzten Auftritt am letzten Tag wieder frei! Muhahaha!
Noch ein Wort zum Bühnenbild. Drei große Leinwände - je eine links und rechts von der Bühne und eine riesengroße als Bühnenrückwand - waren für die Hintenstehenden und für die kleinen Germanistikstudentinnen montiert worden. Die zeigten nicht nur das Geschehen auf der Bühne und im Publikum, sondern legten noch ein paar künstlerisch wertvolle Kontrastverstärkungen und Farbspiele oder Schriftzüge mit drauf - gute Idee.
Fazit: großartige Liveband, suboptimales Publikum. Mit der Songauswahl bin ich halbwegs zufrieden, auch wenn ein Anne-Wunschkonzert gaaanz anders ausgesehen hätte. Aber bei einer Tour zum neuen Album kann man sich ja im Vorfeld denken, worauf man sich einlässt. Dementsprechend waren da auch keine Enttäuschungen von meiner Seite zu befürchten - nur ein bisschen mehr alter Kram wäre schön gewesen. Kein einziger Song von Album eins, nur einer vom zweiten und zwei Lieder vom dritten Werk.
Noch ein Wort zum Bühnenbild. Drei große Leinwände - je eine links und rechts von der Bühne und eine riesengroße als Bühnenrückwand - waren für die Hintenstehenden und für die kleinen Germanistikstudentinnen montiert worden. Die zeigten nicht nur das Geschehen auf der Bühne und im Publikum, sondern legten noch ein paar künstlerisch wertvolle Kontrastverstärkungen und Farbspiele oder Schriftzüge mit drauf - gute Idee.
Fazit: großartige Liveband, suboptimales Publikum. Mit der Songauswahl bin ich halbwegs zufrieden, auch wenn ein Anne-Wunschkonzert gaaanz anders ausgesehen hätte. Aber bei einer Tour zum neuen Album kann man sich ja im Vorfeld denken, worauf man sich einlässt. Dementsprechend waren da auch keine Enttäuschungen von meiner Seite zu befürchten - nur ein bisschen mehr alter Kram wäre schön gewesen. Kein einziger Song von Album eins, nur einer vom zweiten und zwei Lieder vom dritten Werk.