Dienstag, Mai 15, 2012

Fortsetzung - Prag

Teil 2 – Noch mehr Hradschin und die abendliche Altstadt

Der Veitsdom ist natürlich nicht das einzige (touristische) Highlight der Burgstadt Hradschin. Neben dem sehenswerten Mathiastor und der Heiligkreuzkapelle bietet der zweite Burghof (gegen einen Obulus) die Möglichkeit, die 1950 durch Zufall freigelegten Fundamente der ältesten Kirche Prags, die natürlich nicht mehr steht, zu besichtigen. Im dritten Burghof steht zudem eine Statue des Heiligen Georg, wie er gerade das tut, wofür er berühmt ist, nämlich einen Drachen zu töten.  Diese Statue stammt aus dem Jahr 1373, nimmt aber – auch das weiß der ADAC-Reiseführer, „Stilmerkmale der höfisch-eleganten Kunst“ späterer Jahrhunderte bereits vorweg und macht eher einen renaissancigen Eindruck. Die Heiligenlegende von Georg dem Drachentöter ist übrigens eine der bekanntesten und meist überlieferten aus dem Mittelalter. Er war laut der Legende ein zu Tode gefolterter Märtyrer, der um 300 n. Chr. gestorben und seitdem vor allem ein Heiliger des osteuropäischen Christentums ist. Die Drachentöterkomponente kam erst zur Zeit der Kreuzzüge, also etwa im 12. Jahrhundert hinzu und besteht meist darin, dass der Heilige Königstöchter vor diebischen Drachen gerettet und das Ungetüm gerichtet hat. Das Georgskreuz habt ihr sicher alle schon einmal gesehen – in Form der englischen Flagge.

Zweiter Burghof mit Heiligkreuzkapelle

Ebenfalls am dritten Hof befindet sich der alte Königspalast. In welchem heute die Präsidentenwahl abgehalten wird; entsprechend repräsentativ und flaggengeschmückt ist das Gebäude auch. Darin muss es wohl einen sehr sehenswerten mittelalterlichen Saal, den Wladislaw-Saal geben. Geschichtsträchtiger aber ist dessen kleiner Bruder daneben, der Statthaltersaal – hier warfen 1618 ein paar Protestanten zwei kaiserliche Räte und einen Stadtschreiber aus dem Fenster. Das Ergebnis ist der sogenannte ‚Zweite Prager Fenstersturz‘ und der Beginn des Dreißigjährigen Krieges.
Es schließt sich der Georgsplatz an, benannt nach dem nun schon vorgestellten Drachentöter. Hier gefiel mir die St.-Georg-Basilika am meisten. Das ist ein romanischer Kirchenbau mit aus dem 12. Jahrhundert, der – innen äußerst schlicht gehalten – ein paar Jahrhunderte später zumindest äußerlich mit ein wenig barockem Pep versehen worden ist. Durch die schmale Georgsgasse führt der Weg weiter an der Basilika vorbei zum Burggrafenamt. Dort ist heute ein Spielzeugmuseum drin. Gegenüber steht das alte Kloster St. Georg, in dem sich heute große Teile der Nationalgalerie befinden.

Portal der Basilika St. Georg

Auf der anderen Seite des Burggrafenamtes, quasi in der allerhintersten Nische des Hradschin, ist schließlich die Goldene Gasse, die auch auf den Namen Goldmachergasse hört – der geneigte Kafkaleser kennt sie aber wahrscheinlich als die Alchimistengasse. Hier reiht sich pittoreskes Häuschen an noch pittoreskeres Häuschen, alle sind sie romantisch windschief und haben niedliche kleine Fensterchen und alles könnte so schön sein, wären da nicht die Touristenscharen, die das enge kleine Gässchen überbevölkern und in die Kitschläden rennen, die sich in den Häuschen – die wirklich einmal Wohnhäuser waren – eingemietet haben. So hatte ich die Gasse von meinem ersten Pragbesuch (2005 oder 2005) in Erinnerung und schon deswegen habe ich sie dieses Mal nach 18Uhr aufgesucht. Dann haben die Geschäfte darauf geschlossen und das Betreten (!) der Gasse kostet auch keinen Eintritt mehr. In der Tat befanden sich dann auch nur noch ein paar Handvoll Touristen dort und die Abendsonne konnte den Konsumcharakter, den das Prager Sightseeing mittlerweile angenommen hat, mit ihrem warmen, goldenen Licht etwas übertünchen. Das Haus Nummer 22 hat übrigens Franz Kafka mal eine Weile als "Schreibstube" genutzt. Mehr als ein Stübchen ist es auch nicht, es hat nur ein Stockwerk und viel mehr als ein kleines Zimmerchen, in das sich heute eine Kafka-Buchhandlung pfercht, und so eine Art Keller gibt es nicht darin. Kafka war im Sommer 1916 auf Wohnungssuche, weil seine aktuelle Wohnung ihm zu laut zum Schreiben erschien. Zusammen mit seiner Schwester Ottla, ebenfalls auf Wohnungssuche, fragten sie auf der Kleinseite und am Hradschin nach und erfuhren zu ihrer Überraschung, dass ein Häuschen auf der Alchimistengasse bald frei werde und Ottla mietete es – vorerst für sich, aber bald überließ sie es dem Bruder Franz. Er war, man muss sagen: ausnahmsweise, sehr zufrieden dort. „Es entspricht mir ganz und gar“, Schreibt er in einem Brief an die ewige Verlobte Felice Bauer. Den Großteil jener Erzählungen, die noch zu seinen Lebzeiten im Band „Ein Landarzt“ veröffentlicht werden sollten, schrieb er in dem halben Jahr, in welchem er die Alchimistengasse Nr. 22 bewohnte.

Kafkas ehemaliges Schreibhäuschen

Blick in die Alchimistengasse

Es treibt uns schließlich wieder von der Burg herunter. Durch die Nerudagasse nähern wir uns wieder der Moldau über die Kleinseite. Das ist  der historische Teil Prags, der westlich der Moldau liegt. Den historischen Kern östlich des Flusses bilden die Altstadt und die Josefstadt, das kleine jüdische Viertel. Die Nerudagasse ist voller Kaffees, Restaurants, Souvenirläden und Menschen; dass sie auch sehr steil ist, hat den amüsanten Effekt, dass man dicke Touristen dabei beobachten kann, wie sie sich in ungeeignetem Schuhwerk auf dem Kopfsteinplaster aufwärts quälen. Aber schöne Dinge gibt es auch zu sehen: Prag ist berühmt für die schönen Reliefs an den Häusern, vor allem für die Hauszeichen über den Türen, welche meistens einen Gegenstand, eine Pflanze oder ein Tier darstellen, das den Beruf desjenigen, der in grauer Vorzeit dort einmal gelebt hat, symbolisiert. Also etwa einen goldenen Kelch für den Goldschmied oder eine Violine für den Geigenbauer. ‚Neruda‘ hat übrigens nichts mit dem chilenischen Erfolgsautor Pablo Neruda zu tun, sondern vielmehr mit Jan Nepomuk Neruda, einem tschechischen Poet und Journalist des 19. Jahrhundert, dessen Geburtshaus in dieser Gasse steht. Pablo Neruda hieß übrigens eigentlich Neftalí Ricardo Reyes Basoalto und wählte den Namen ‚Neruda‘ in Anlehnung an Jan Neruda.

Geburtshaus von Jan Neruda

Die Nerudagasse mündet schließlich im Kleinseitener Ring. An diesem Platz stehen einige sehr imposante Gebäude, unter anderem die Kirche St. Niklas auf der Kleinseite – ein Wahnsinnsausmaß an Barock und römisch-katholischem Prunk – sowie diverse schmucke Renaissancepalais. Über die Brückengasse – der Name verrät es – gelangen wir schließlich zur Karlsbrücke, karlův most. Sie empfängt uns in Form der Kleinseitener Brückentürme, einer Romanik-Renaissance-Koproduktion aus einem größeren und einem kleineren Turm mit einem gewaltigen gotischen Zinntor als Durchgang. Bevor wir uns aber in der Abenddämmerung auf die immer noch recht volle Brücke wagen, stärken wir uns mit einheimischem Gerstensaft.

Blick durch das gotische Tor der Brückentürme

Die Kleinseitener Brückentürme von der Karlsbrücke aus

Die Brücke ist voller Paare, Gruppen von Jugendlichen und Familien, die auf der Suche nach dem perfekten Foto mit sich selbst und Prager Burg vor Sonnenuntergangshimmel sind. Ein paar der Portraitzeichner, Karikaturisten und Schmuckverkäufer sind auch noch da. Unter der Brücke kurven die Ausflugsschaufelraddampferflussschifffahrtsgesellschaften herum, die Dampfer hupen sich hier und da zu, dass es durch die halbe Stadt dröhnt.

Auf der Karlsbrücke, mit Blick Richtung Altstadt

Auf der anderen Seite der Brücke steht, ganz analog, der Altstädter Brückenturm. Wie vieles andere in dieser Stadt stammt der gotische Turm von Peter Parler, dem bedeutendsten der am Dom beteiligten Baumeister. Durch sein Tor gelangt man in die Altstadt – und hier ist nicht weniger los als auf dem Hradschin oder der Karlsbrücke. Zunächst einmal steht man auf dem Kreuzherrenplatz. Hier erwartet einen die Kreuzherrenkirche, die an St. Niklas von der anderen Flussseite erinnert. Da sie mit einer vergleichbar opulenten Kuppel und ähnlich barock daher kommt. Es schließt sich das Klementinum an, ein großer Gebäudekomplex mit verschiedenen Kapellen, Bibliotheken und der Salvatorkirche. Durch die Karlsgasse (karlova), malerisch klein und schmal – zu schmal für so viele Leute – geht es allmählich ins Zentrum der Altstadt, zum Altstädter Ring. Auf dem Weg dahin kommt man an unzähligen Souvenirläden und Restaurants vorbei. Vor jedem Restaurant steht ein Angestellter und will dich zu einer Mahlzeit dort überreden, manche versuchen regelrecht, dich hineinzudrängen oder dich in Richtung eines noch freien Stuhles zu bugsieren – aber Vorsicht! In diesen immervollen Restaurants zwischen Brücke und Altstädter Ring wird auf den Überrumpelungseffekt gesetzt, der Touri wird am Ende nicht selten finanziell über den Tisch gezogen.

Altstädter Brückenturm

Kreuzherrenkircke (links), Klementinum

Und endlich sind wir am Altstädter Ring angelangt. Zuerst kommt das Rathaus in unser Blickfeld, berühmt für die astronomische Uhr aus dem 15. Jahrhundert am Turm, die man in vielen schlechten Miniaturrepliken in den Souvenirshops erstehen kann. Der Abend ist noch lau, und der große Platz um das Jan-Hus-Denkmal ist noch voller Menschen, die sich über die milden Temperaturen zur mittlerweile vorgerückten Stunde freuen. Alle wichtigen Gebäude – die Teynkirche, das Palais Kinsky, die Kirche St. Niklas in der Altstadt – sind repräsentativ angestrahlt. Auf dem Platz haben immer noch ein paar der Holzbuden offen und verkaufen Bratwurst, Bier oder. Eine Prager Spezialität, die zu probieren ich irgendwie nicht geschafft habe.




Nach diesen nächtlichen Impressionen vom Altstädter Ring beenden wir diesen Tag. Das nächste Mal wollen wir uns ganz auf Kafkas Spuren begeben und einen Rundgang durch 'sein' Prag unternehmen.

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