Samstag, August 18, 2012

Kinder in Kommoden

Heute musste ich an etwas denken, das schon lange nicht mehr den Weg durch meine Hirnwindungen in mein Bewusstsein gefunden hat. An Sperrmüll. Und das kam so:

Mein Nachbar ist ein mann, der seinen Vor- und Zunamen auf seiner Fußmatte vor der Wohnungstür stehen hat. Und er ist auch ein Mann, der sich seit circa 8 Monaten neu erfindet. Anfang des Jahres wurden bei ihm neue Teppiche verlegt, er hat die Bude tapeziert, den unsäglichen Pflanzenhocker rausgehauen (der uns jetzt als Stereoanlagentischchen dient). Und nun hat er ein neues Sofa. Sein altes hatte er sich noch zu Zeiten gekauft, da diese Stadt noch in der 'Zone' lag. In den Ritzen hat er heute beim Abbauen dieses Sofas noch Ostgeld gefunden. 

Die Einzelteile dieses alten Sofas, das mich in seinem Blassgrau an Zahnarztpraxen denken lässt, liegen nun auf dem Hinterhof. Und auf den Einzelteilen liegen die Enkelkinder des Ehepaares aus dem Erdgeschoss. Bei denen ist, sobald die Sonne scheint, immer mächtig was los. Ein Haufen junger Leute mit kleinen Kindern bevölkern dann Balkon und Hinterhof, machen allerliebsten Kinderkrach, lachen, schreien, heulen und lassen Plastebälle auf den Boden auftitschen. Ich sitze dann gern auf dem Balkon und höre dem Treiben zu, das Leben in dieses träg-dröge Haus bringt. Das alte Zahnarztpraxensofa des Fußmattennachbarn kommt da wie gerufen. Hüpfburg, Spielwiese, frühkindliche Chilloutlounge, die Gedanken sind frei.

Wie ich der semantischen Neubestimmung des Sofas so zuschaue, arbeiten sich die Sperrmüllerinnerungen herauf. Zweimal im jahr Fieberten alle Kinder des Plattenbaublocks mit über 126 Wohnungen, in dem meine Familie wohnte, diesem Ereignis entgegen, sobald ein Zettel an der Treppenhauspinnwand den Abholtermin verkündete. Auf der großen Wiese neben den Mülltonnen begannen sich bereits eine Woche vor diesem Tag die ausrangierten Möbel, alten Fahrräder, kaputten Wäschekörbe zu stapeln; und irgendwer stellte immer eine prähistorische Waschmaschine dazu, obwohl das ausdrücklich nicht zu den sperrmüllfähigen Gütern zählte, laut Aushang. Schränke wurden Sammellager und Höhlen, Tische Abwehrschilder, Matratzen Trampoline. Kinder rutschten in Schubladen Müllberge herunter, entsorgte Musikkassetten wurden seziert, und sobald alle zum Abendessen verschwunden waren, wagte sich mal ein einzelner Vater nach unten, um zu sehen, ob man aus der einen Tischplatte, die er aus dem vierten Stock vom Fenster gesehen hatte, noch was machen kann.
Ein Held war der Vater, der statt etwas mitzunehmen ein neues Kleinod dazulegte.

1 Kommentar:

Kathrin hat gesagt…

Oh ja, der gute alte Sperrmüll. Bei uns an der Bundesstraße war es meistens so, dass die osteuropäischen Mitbürger meist alles schon in der Nacht vorm Sperrmüll abgeholt haben, was noch ok war. Unsere alte Eck-Küchenbank zum Beispiel. Und wir haben mal im letzten Jahr Ärger bekommen, weil irgendsoein Grützkopf was zu unserem Sperrmüll dazugestellt hat. Nun beweise mal, dass DAS nicht zu DEINEM Müll gehört, den du natürlich wie gefordert nach den jährlich erlaubten m³ abrechnest. Seitdem machen wir von unserem Sperrmüllhaufen immer gleich ein Foto als Beweis... Schlimm die Welt, wo sind wir nur hingeraten?

Danke auch für deinen Kommentar zu meinem Goethe-Pflänzchen! Ist ja echt eine witzige Geschichte mit der Germanistik und der Flora ;)

LG aus dem Erzgebirge,
Kathrin