Donnerstag, April 19, 2007

Der höchste Anspruch, den wir Menschen hegen sollten, ist wohl der Anspruch an uns selbst. Ich begegne zwar täglich Menschen, die sich - sowohl körperlich als auch mental/geistig - derart gehen lassen, dass man schnell bemerkt, dass jenen dieser Anspruch fremd ist, aber dennoch gilt er sicherlich für den größeren Teil der Masse. Und das Problem an diesem Selbstanspruch ist, dass man ihm wohl nie ganz gerecht wird.

Als ich so 14, 15 Jahre alt war, war ich wesentlich in mich gekehrter als heute - jedenfalls nehme ich mich rückblickend so wahr. Ich habe selten einen Nachmittag mit Freunden oder allgemein außerhalb meines Zimmers verbracht; meine Freizeitbeschäftigungen bestanden in wüstem Phantasieren, fernsehen, dem Zeichnen von Dingen, die ich heute, wenn ich sie zufällig in meinen Sachen in Freiberg finde, als verstörende Relikte eines verkorksten Teenagers bewerten würde, wenn ich mich nicht selbst gut genug kannte. Ich habe damals alle diejenigen Schulkameradinnen verachtet, die ihre Wochenenden mit Sich-Rumbeißen auf irgendwelchen Parties, minderjährigen Besäufnissen und dem Tragen fragwürdig geschnittener Oberteile verbracht haben, und war dabei sicherlich neiderfüllt, dass mich niemand geküsst hat, ich keine fragwürdig geschnittenen Oberteile tragen konnte und jeden Abend allein daheim verbrachte. Dieses viele Alleinsein hat teilweise zu unglaublichen Gedankengängen geführt.
Und zu solchen - meine ich - bin ich heute gar nicht mehr fähig. Wenn man mich fragen würde, wann ich zuletzt über Sinn und Unsinn, über den Wirkungsgrad politischer Systeme, so richtig über Gott und die Welt nachgedacht habe, wann ich zuletzt ein mir bis dahin fremdes Lied gehört und dabei sofort in meinem Kopf verschiedene mögliche Videoclipszenarien entwickelt habe - dann muss ich passen. Und dann stelle ich mir selbst die Frage: Bin ich oberflächlich geworden? Beschäftigen mich wirklich nur noch die Fragen, was ich heute am Besten anziehe, was ich die Woche abends so kochen könnte? Es ist zwar schon richtig, dass ich - quasi als Teilentschuldigung an mich selbst - sagen kann, dass ich heute ganz andere Probleme und Verantwortungen habe als noch vor 5 Jahren (einen Haushalt, eine Beziehung, ein Studium, eine wesentlich höhere Selbstverantwortlichkeit im Sinne von: ich muss selbst einkaufen und saubermachen und mit den Finanzen haushalten, ich muss selbst auf Ämter gehen, etc.), aber dennoch: Ist es wirklich ein "natürlicher" Teil des Erwachsenwerdens bzw. des Erwachsenenlebens, seine Kreativität einzubüßen und anscheinend weniger fähig zum Hinterfragen zu sein? Oder ist das nur bei mir so? Oder ist das eine rein subjektive, rein objektiv nicht stimmende Einbildung von mir?
Am Ende unterliege ich womöglich auch der ganz normalen Situation, immer das haben zu wollen, was man gerade nicht haben kann. Früher habe ich bedauert, keine schlanke Person zu sein, die nahezu anziehen kann, was sie will, volljährig ist, ein funktionierendes soziales Umfeld und eine funktionierende Beziehung hat. Heute trauere ich der vermeintlich intelligenteren 14-jährigen hinterher, die zwar kein Selbstbewusstsein, aber eine unüberschaubare Menge an Gedanken und Phantasie hatte.

Gestern haben wir gelernt, dass wir uns als subjektive Einzelne möglichst hüten sollten, absolute Aussagen zu treffen. Wir sollen nicht sagen: "Du redest zu laut", sondern "Ich finde, dass du zu laut redest". Daher glaube ich nicht, dass ich die obigen Fragen an mich selbst mit einem klaren JA oder NEIn beantworten kann. Dazu bin ich vermutlich gar nicht in der Lage und andere Menschen ebenfalls nicht, egal wie eng der Kontakt sein mag. Vielleicht kann ich diese Fragen in ein paar Jahren beantworten - vielleicht auch nie? Mal sehen, interessieren würde es mich schon. Eventuell weiß ich in ein paar Jahren gar nichts mehr von meinen Zweifeln, weil ich selbst diese Art von Hinterfragung nicht mehr kann. Wenn das so ist, dann möchte ich vielleicht gar nicht fortfahren, "erwachsen" zu werden. Oder mit Chris einen rauchen und die ganze Sache eine Ecke entspannter angehen.

:)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Erwachsen werden, glücklich sein als Grund für den Verlust von Kreativität? Bedingt einzig Trauer die Möglichkeit zur Hinterfragung diverser Sachverhälte? Was, wenn du deine Jugend verklärt siehst, die "ach so komplexen" Gedankengänge heute innerhalb kurzer Sekunden abarbeitest und das nicht mehr als Wunder ansiehst? Ist es verkehrt, an gewissen Stellen oberflächlich zu sein, um ein "schönes" Leben zu führen? Wir haben die Freiheit, uns selbst zu dem zu machen, was wir sein wollen. Alles können wir nicht sein. Ein gewisses Gleichgewicht bildet sich für jeden von uns selbst heraus, sind wir doch dem einen bzw. anderen Maximum angewidert.
Mach dir darüber nicht zu viele Gedanken, es gibt Zeiten, in denen nützt es nichts, tiefsinnig zu sein, in anderen ist es unabdingbar. Du wirst diese Momente erkennen.