Donnerstag, Juni 21, 2012

EM-Zwischenstand (IV) und: Poor Poland

Die finalen Gruppenspieltage:

  • Tschechien - Polen (1:0) / Griechenland - Russland (1:0): An diesem Spieltag lief alles anders, als der Großteil Europas es sich gedacht hatte. Im Grunde liegt das Weiterkommen Tschechiens und Polens vor allem an der Mathematik, hat aber irgendwie dennoch zu keiner Zeit etwas mit Ratio zu tun gehabt. Besonders bitter für die Russen: bei einer WM wären sie in die Endrunde gekommen, nach der neuen UEFA-Regelung für die EM sind es eben stattdessen die Griechen, die ins Viertelfinale dürfen. Deren disziplinierte Abwehrleistungen und deren Kampfgeist möchte ich an dieser Stelle aber auch nicht ganz unterschlagen. Und die Tschechen, die ja immerhin ein paar richtig gute Leute im Kader haben, bescheren der Stadtwirtschaft weiterhin böhmische Freibierabende ;)
  • Portugal - Niederlande (2:1) / Dänemark - Deutschland (1:2): Irgendwie ist mir erst am Tag nach den Spielen aufgegangen, dass zwischenzeitlich sogar ein Ausscheiden realistisch gewesen ist; ein einziges Tor der Dänen zu einem 2:1 für sie hätte ausgereicht. Aber dank schlechter dänischer Chancenverwertung und drehbuchhaften Toren durch Lukas Podolski (in seinem 100. Länderspiel) und Lars Bender hat ja doch noch alles gepasst. Die Dänen fahren folglich heim, ebenso wie Oranje - dazu fällt einem ja kaum mehr was ein. Und 'CR7' hat seine portugiesische Truppe quasi im Alleingang ins Viertelfinale katapultiert, wo heute Abend die Tschechen warten. Und Jogis Mannschaft muss morgen gegen Griechenland ran. 
  • Kroatien - Spanien (0:1) / Italien - Irland (2:0): In dieser Gruppe war gerade am letzten Spieltag vieles weniger klar, als es vom Papier her hätte sein sollen. Die Kroaten waren nahe dran, das Viertelfinale - am Ende sogar anstelle der Spanier - zu erreichen. Die Spanier hingegen schienen sich der potenziellen Gefahr über weite Strecken gar nicht bewusst zu sein, spielten ungewohnt zerfahren und teilweise mutete es sogar wie Arbeitsverweigerung an. Das war wirklich kein sehenswertes Spiel. Italien hat im Gegenzug seine Sache überraschend souverän gelöst, was ihnen, gerade angesichts der Korruptionsskandale, niemand so richtig zugetraut hatte.
    Also: Spanien und Italien im Viertelfinale.
  • England - Ukraine (1:0) / Schweden - Frankreich (2:0): Diese Spiele waren ähnlich unschön anzusehen wie jene vom Vortag. Die Franzosen haben fast durchweg überhaupt nichts zustande gebracht, haben stattdessen den Schweden Raum für eine mehr als anständige Abschiedsleistung gegeben. Das Resultat war u. a. ein sehr schönes Tor vom Zlatansbraten. Der französische Trainer Laurent Blanc hat nach dem Match getobt und meinte, dass aus seinem Team außer Ribery, einem Abwehrspieler und dem Torhüter Hugo Lloris keiner wirklich das Spiel ernstgenommen zu haben scheint. Im Parallelspiel gaben sich die Engländer zwar redlich Mühe, und Rooney hat zu seinem ersten EM-Einsatz auch gleich mal die neue Tolle zum Toreschießen benutzt, aber einen großen Aufreger gab es auch hier noch einmal: den Ukrainern wurde ein astreines Tor nicht gegeben. Gut, das hätte sowieso nicht zählen dürfen, weil es aus einer Abseitssituation heraus erzielt wurde - aber der eigentliche Skandal besteht darin, dass der Torrichter nur wenige Meter daneben aus allerbester Sichtposition diesen Ball als "nicht über der Linie" deklariert und damit ein weiteres Mal unter Beweis gestellt hat, wie unnötig und nichtsbringend dieser Posten ist.
    England trifft als Gruppensieger am Sonntag auf Italien, Frankreich muss einen Tag zuvor gegen Spanien ran.

*****

Eine unvorstellbare Katerstimmung herrscht nun natürlich in den Gastgeberländern, deren Nationalmannschaften es beide nicht in die Viertelfinals geschafft haben. Bei den Ukrainern war es im Vorfeld auch nicht anders erwartet worden, und dafür war es dann am Ende sogar noch überraschend knapp. Die Polen hingegen sind maßlos enttäuscht. Allerorten kann man Viertel- und Halbfinaltickets von polnischen Fans erwerben, die sich jene gekauft hatten in der Hoffnung, in diesen Partien ihre Mannschaft spielen zu sehen. In dieser vermeintlich leichten Gruppe, in der Russland als gesetzt galt, schien das weiterkommen sehr machbar. Und mit den Dortmunder Meisterspielern im Kader sowie dem Stammtorwart im Arsenal London zwischen den Pfosten, war man sehr optimistisch gewesen. Nach dem Aus in der Vorrunde ist die polnische Presse nicht zimperlich mit den "Verantwortlichen" umgegangen. Eine Zeitschrift brachte den Nationaltrainer Smuda und den Chef des polnischen Fußballverbandes Lato auf der Titelseite, mit dem Untertitel versehen: "Schämt ihr euch nicht, den Polen in die Augen zu schauen?" Noch feindseliger wurde übrigens das russische Team ("Versager! Bastarde!", "Ihr habt unsere Herzen gebrochen!"), vor allem dessen scheidender Trainer Dick Advokaat ("Scher dich zum Teufel!"), zu Hause von der Presse empfangen.

Es kann auch gar nicht verwundern, wie groß die Ernüchterung der Polen nun ist. Idol Robert Lewandowski hatte das letzte Gruppenspiel gegen Tschechien als das "wichtigste der Fußballgeschichte des Landes" bezeichnet, die Spieler selbst hatten die Erwartungshaltung in große Höhen geschraubt. Seit Jahren schon war Polen im EM-Fieber und man hat viel dafür getan, ein unvergessliches Turnier zu veranstalten, nette Gastgeber zu sein, mit den Ostseestränden und den gut erhaltenen Altstädten von Breslau und Danzig zu glänzen. Auf überlebensgroßen Transparenten prangten an polnischen Wolkenkratzern die Helden der polnischen Fans, die zu EM-Helden werden sollten. Dann hatte man sich doch recht sang- und klanglos verabschiedet, mit zwei Unentschieden gegen Griechenland und Russland sowie einer knappen Niederlage gegen das benachbarte Tschechien. Und auch die polnische Gastlichkeit hat nun dunkle Stellen: das Spiel der Polen gegen die Russen fand am russischen Unabhängigkeitstag statt; 10.000 russische Fans planten deswegen einen symbolischen Marsch zum Stadion von Warschau und die Polen wollten diese Provokation der ehemaligen Herrschernation nicht hinnehmen. Letztendlich eskalisierte die Situation im Stadtgebiet und mehr als 100 Hooligans, größtenteils stark nationalistischer Prägung, schlugen aufeinander ein. Dazu hatte auch beigetragen, dass verschiedene polnische Medien im Vorfeld die russischen Fans recht pauschal in Misskredit bei den Polen gebracht haben, die Polen regelrecht zur Rivalität aufwiegelte. Schließlich hat es dutzende Verletzte und 184 Festnahmen gegeben, der Großteil der Urteile wurde mittlerweile auch schon ausgesprochen. Denn die polnische Regierung will zeigen, wie ernst es ihr mit strengen juristischen Konsequenzen ist.

2 Kommentare:

Hansi hat gesagt…

Katerstimmung? Das sollte ein Klacks im Gegensatz zu meiner Verfassung nach unserem gemeinsamen public viewing gewesen sein!

Anne hat gesagt…

Im Ernest, Hemingway?

Mir und Enrico gings prima am kommenden tag.