Freitag, November 09, 2012

Vicky Christina Midnight in Rome, oder so.

Habe gestern Woody Allens Midnight in Paris (2011) das erste Mal gesehen ... und wenn ich bedenke, dass ich ganz scharf drauf war, den zu sehen als er im Kino lief, bin ich im Nachhinein froh, ihn lieber ohne Kinokartenkosten, dafür aber in allwöchentlich gemütlicher Runde zum Filmabend gesehen zu haben.

Was dem Film positiv angerechnet werden darf: er beweist Mut zur Phantasie. Zunächst vermutet der Zuschauer, der sich keine Inhaltsangabe durchgelesen hat, dass es sich um eine 0815-Romantikkomödie handelt - angesichts des Personals (s. u.) ist das auch eine nacvhollziehbare Befürchtung. Doch Midnight in Paris bietet etwas, das solchen Filmen sonst fremd ist: eine fantastische Komponente. Denn jedes Mal zu Mitternacht wird der Protagonist wie durch ein Wunder in eine andere Zeit entführt, nämlich in das Paris der 1920er - die Zeit, in welcher er liebend gerne leben würde. Dort lernt er Hemingway, Dalí, Gertrude Stein, Picasso kennen. Diese Phantastik hebt den Film deutlich von seinen Gattungsgenossen ab, im positiven Sinne. Ebenfalls sehr schön, wenn auch teils kitschig (aber gut kitschig, weil Amélie-kitschig) fand ich die Parisbilder sowie die Kulissen und Kostüme der Vergangenheitsepisoden.

Aber das negative überwiegt für mich definitiv: die Dialoge sind größtenteils ein Graus, die Charaktere der Gegenwart durchgehend nervtötend und total überzeichnet. Die Karikatur eines republikanischen Schwiegervaters, die Karikatur einer nervigen Verlobten, etc. Wie man Owen Wilson überhaupt immer noch allen Ernstes eine derartige Hauptrolle geben kann, verstehe ich nicht. Auch die seine Verlobte verkörpernde Schauspielerin Rachel McAdams verdient sich keine Lorbeeren. Und dann hat der Film solche Szenen: der von Wilson gespielte Protagonist verlässt eine Kneipe, in welcher er so eben mit Hemingway getrunken und über Literatur gesprochen hat (so weit, so gut). Draußen kann er diese Begegnung kaum fassen (verständlicherweise). Nach wenigen Metern bleibt er stehen und sagt ganz hollywoodesk: Woowoowooh, Momeeent, hab ich da gerade ...? Sowas sagen NUR Menschen in mittelmäßigen bis mauen Hollywoodstreifen. Und das hat einen Grund: das ist derart unnatürlich und unauthentisch, das sagt kein Mensch außerhalb der Drehbücher (und jene hier sind - oh weh - oscarprämiert!). 
Die Dialoge der Szenen, die in den Zwanzigern spielen, sind weitaus dezenter gestaltet, auch die Figurenzeichnung ist weniger nervig. Die Schauspieler (u. a. die bezaubernde Marion Cotillard) empfand ich ebenfalls als besser.

Was mich zu der Frage führt: Kann es Absicht gewesen sein, die Figuren der Gegenwart (die Verlobte des Helden und ihre Eltern sowie ihre Freunde) übersteigert eindimensional zu gestalten, modern-neurotisch und gefährlich für die Nerven des Zuschauers? Sollten dieser Darstellung die authentischeren, lebendigeren Figuren vergangener Epochen gegenüber stehen? Auf den ersten Blick ergibt das viel Sinn. Sieht man den Film aber bis zum Schluss, eröffnet sich eine eindeutig artikulierte  Moral: es bringt nichts, in der Vergangenheit zu leben, vergangene Zeiten zu verklären, mach stattdessen das Beste aus deiner eigenen Zeit. Das ist ein Widerspruch zur möglichen Erhöhung der Vergangenheit und ihrer Bewohner, weswegen ich das wieder verwerfe.

Letzten Endes bleibt es doch alles in allem ein vorhersehbarer Schmachtfetzen mit einigen originellen und auch einigen witzigen Szenen. Woody Allen hat sich - für meine Begriffe - mit seinen ganzen seichten und neurotischen Metropolenfilmen nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Alle anderen sehen das irgendwie anders. Für Midnight in Paris hat er sowohl bei den Oscars als auch bei den Golden Globes 2012 jeweils die Auszeichnung für das beste Drehbuch erhalten. Die sich angeblich niemals irrende Internet Movie Database gibt dem Streifen 7,7 Sterne (von 10). Mon dieu ...

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