Samstag, September 07, 2013

Die bauen mir meine Brache zu!

In Leipzig gabs mal ziemlich viele Brachen, mitten in sonst gut bevölkerten Stadtteilen. Diese Baulücken kamen meistens durch die politische Wende zustande - nach dem Anschluss der neuen Bundesländer an die BRD war es oft einfach billiger, ein marodes altes Haus abzureißen als zu sanieren. Doch so allmählich boomte Leipzig in den letzten Jahren und die Lücken in den am meisten boomenden Vierteln verschwanden, weil das zunehmend attraktiver Baugrund wurde. In der Südvorstadt beispielsweise gibt es fast gar keine Brachen mehr; die letzte, die mir einfällt, ist diesen Sommer bebaut worden (an der KarLi, zwischen Scheffelstraße und Eichendorffstraße).

Im Westen, vor allem in Lindenau und Plagwitz, beginnen die Brachen seit etwa zwei Jahren allmählich zu verschwinden. Gerade Plagwitz ist ja als künstlerisch heißes Pflaster, kultur- und familienfreundliche Gegend bekannt, und nun entstehen dort, zwischen Nachbarschaftsgartenprojekt und linksorientiertem Club, viele moderne Stadthäuser. Ihr wisst schon, diese kubusförmigen Kästen, die ein bisschen einen auf Bauhaus machen. Diese Häuser haben Vor- und Nachteile: einerseits sind da prima geschnittene Räume, es gibt keine Schlauchzimmer, wie es im Altbau so oft der Fall ist, und jeder hat eine Dachterrasse. Andererseits sehen diese Häuser, für meinen Geschmack, irgendwie steril und ganz allgemein doof aus. 

Das sind Eigenheime, die ein entsprechend zahlungsfreudiges Publikum anziehen. Auch das hat seine guten und nicht so guten Seiten - es kommt zwar Geld in diese Stadtteile, und wer sich ein Eigenheim zulegt, ist für gewöhnlich paarungswütig, es ist allerdings fraglich, wie förderlich dieser Zuzug für die weitere Entfaltung einer freien Szene ist (Gentrifizierung, steigende Mieten, ihr kennt das Spiel; weniger progressive Kunstschaffende, dafür mehr saturierte Gartengriller).

Wie gesagt, die Brachen verschwinden auch im groben Umfeld meiner Straße. Und nun verschwinden sie auch direkt auf meiner Straße, direkt neben dem Haus, in dem ich wohne: meine schöne Balkon-Ausblick-Brache! Die mir einen Blick auf Grünes ohne Hauswände ermöglicht! Auf die die Hunde kacken und es somit wenigstens nicht auf dem Bürgersteig tun! 

Meine schöne Brache - und nun sollse weg

Als ich neulich von einem kurzen Aufenthalt an der Ostsee wieder in Leipzig ankam, stand da auf einmal ein Schild. Beworben wird da der coole neue Henrici-Kiez, der auf meiner Straße entstehen soll. Mir war gar nicht bewusst, dass der Coolnessfaktor hier hinterm Kaufland so hoch ist. Ich mein - ich finds super hier, aber ich hatte gehofft, dass diese Ecke niemals cool genug sein würde. 

Mein Haus mit meiner Brache daneben

Ich frage mich, wie kiezig es wohl werden wird, wenn die zehn modernen Stadthäuser, das Penthouse und das Haus mit den drei zweigeschossigen Eigentumswohnungen fertiggestellt sind. Die Flächen der Wohnungen changieren zwischen 100 und knapp 200qm, der Kaufpreis von 225.000€ und 370.000€ (und für nur 13.500€ kann man sich nen Stellplatz dazu kaufen). Drei der Einheiten sind schon vergeben. 

Das soll man aus der Perspektive von Bild 2 bald sehen

Ich weiß gar nicht, wie "Kiez" und "gehobener Lebensstil" zusammengehen sollen. All das, was jetzt diese Ecke Leipzigs ausmacht (studentische Kultur, Theater, Kunst, freie Szene, ökologisch-alternative Dinge und Angelegenheiten), wird als Werbetext benutzt, um ein Publikum anzuziehen, das für die weitere Entfaltung dieser Dinge eher hinderlich sein könnte. Klar werden sie (hoffentlich) auch für die freie Szene Geld ausgeben - aber freie Szene nach 22.00 Uhr und Studentenpartys in der direkten Nachbarschaft werden sie wohl eher nicht wollen.

Und nee, Lust auf so ne große Baustelle hab ich irgendwie auch nicht.

3 Kommentare:

Jörg hat gesagt…

Nich das ich Deine Empfindungen nich nachvollziehen könnte, aber da sind schon ein paar kurze Assoziationsketten in Deiner Darstellung.

Die allerwenigsten Brachen entstanden ursächlich durch die Wende '89, sondern haben Ihre Ursprünge in Ereignissen vor 70 Jahren und deren Folgen.

Viele der Vorraussetzungen die heute die Kreativität in Leipzig spriessen lassen (Universität, Altbauten, Theater-Historie, Ateliers und Räume die der Freien Szene zur Verfügung stehen) entstanden aus Reichtum, in der damals bedeutenden Buch-, Messe-, Uni-, Handels-, Banken- und Industriestadt.

Klar verschwinden in benannten Stadtteilen Brachflächen (die Neunutzung von Brachflächen ist ja auch eine Lieblingsidee der Freien Szene) aber 5 Sekunden Nachdenken und schon fällt mir ein, das in der Südvorstadt gleich Ecke Kurt-Eisner und Kochstrasse eine Große (mit welchen Hintergründen auch immer) ist. Das Thema wird manchmal ultimativer dargestellt als es ist, finde ich.

Stichpunkt Stadthäuser, meine Erfahrungen: nicht jeder der eines bezieht ist zahlungskräftig, wo mit dem geringsten finanziellen Aufwand gebaut wird, sehen sie am "beschissensten" aus, nich jeder zahlungskräftige Neu-Leipziger wird von den um Auftraggeber buhlenden Kreativarbeitern verdammt, nicht alle sind im paarungswütigen Alter und Dachterassen sind auch nicht obligatorisch drauf. ((und stadthäuser wird man auch nur da bauen wo freiraum zu günstigen preisen ist, werden die preise teuer lohnen sich mietshäuser deutlich mehr))

Du hast schon Recht, es gibt Veränderungen in Leipzig und es wird auch weiterhin Veränderungen in der Stadt geben. Doch ich finde man sollte dabei auch die Richtung im Blick haben in die sich die Stadt entwickeln sollte. Soll Sie sich weiter Ihre Kultur und Vielfalt leisten können? Profitieren Kreativarbeiter in einem perspektivischen Sinne (zumindest in einer vernünftigen Breite, sicher nicht alle) nicht eher von einem Anstieg des verfügbaren Einkommens in Leipzig? Gestatten es die finanziellen und politischen Rahmenbedingungen überhaupt, dass Leipzig so bleibt wie es ist?

Wer würde schon gern im reichen Leipzig der 1920er leben (also wenn man nich in der Verlagsbranche ist und sich wie heute als Kreativarbeiter durchschlagen wöllte)? Oder in der sozialistischen Messestadt der 70er? Es mag sein, dass Leipzig für manchen seine coolsten 10 Jahre hinter sich hat, aber keine Veränderung ist keine Option.

Ich hätte als Kreativarbeiter lieber ein vernünftiges Einkommen mit dem ich mir eine höhere Miete locker leisten könnte, als ein grenzwertiges Einkommen, mit dem mir nach Abzug von Miete und üblichen Kosten praktisch nix bleibt um zB mal öfter Kultur zu genießen (Studentenrabatt bekommt man irgendwie nur als Student).

Nichtsdestotrotz, zwar stimme ich Dir in Deinen Grundannahmen was die Veränderungen in Deiner Straße angehen nicht so ganz zu, aber ich kann es verstehen das man nicht auf jeden neuen Nachbarn scharf ist der sich da seinen Weg ins Viertel bahnt. Da hilft manchmal nur ganz viel Toleranz.

Anne hat gesagt…

Danke für den Kommentar!

Mir geht es auch weniger darum, diese oder jene Menschen 'hier nicht haben zu wollen', das liegt mir sehr fern. Ich mag Menschen.
Mir geht es vielmehr um diese krampfhafte Verkiezung, Ver'hip'ung der Ecke hier. Die Art und Weise, auf welche das Wohnen auf diesem Straßenzug angepriesen wird, ist utopisch. Ich frage mich, wie die vielen jungen Familien, die man sich hier vorstellt, finden werden, was manchmal so auf dem Markt oder an der Angerbrücke los ist. Was die Brache neben dem Haus, in dem ich lebe, betrifft: hier erwarte ich einfach nur die vielen Neubauten ein paar Einschnitte der allgemeinen Lebensqualität: Baulärm, verbauter Blick ins Grüne und auf den Spielplatz, solche Dinge; und auf die hat man verständlicherweise nicht so Lust.

Danke auch für die Korrekturen - aber ich hoffe, dir ist klar, dass Überspitzungen durchaus gewollt sind; vor allem die Pauschalisierungen dienen dazu.

Dass die Brachen (und jene in Lindenau, die ich meine, sind übrigens in der Tat durch Abrisse nach '90 entstanden) auch neuen Nutzungen zugeführt werden, das ist ja auch in meinem Interesse. Ich finde lediglich, für meinen privaten und logischerweise nicht zwingend auf Wirtschaftlichkeit der Brachenbebauung ausgelegten Geschmack, dass die Art der Nutzung nicht optimal ist.

Und Gentrifizierung ist hier nun mal ein Thema. Gerade Leipzig ist ein anschauliches Pflaster für bisweilen skurril erhebliche Kaltmieterhöhung bei Neubezug. Und der Prozess den ich in meiner mir eigenen Polemik beschrieben habe, beschleunigt das.

p.s.: auch meine Studentenzeit ist vorbei und die Phase der kreativen Lösungen des sich-über-Wasser-Haltens haben begonnen ;)

Anonym hat gesagt…

ich denke auch, dass man zunächst unterscheiden muss zwischen den menschen, die zuziehen und der art der bebauung. von mir aus soll nach leipzig kommen wer will. je bunter und vielfältiger die stadt wird, umso besser!
was mich aber auch massiv stört, ist die art und weise, wie wohnkarrees systematisch verschandelt werden bzw. welche art von wohnarchitektur hier etabliert wird.
diese aufgehipte bauhausarchitektur ist meines erachtens ausdruck einer baukultur, die auf historisch-organische entwicklungen ihrer umgebung nicht nur nicht reagieren, sondern sie konsequent missachten. so ist zu beobachten, dass inmitten von gründerzeitfassaden bunkerarchitekturen entstehen, die in ihren extremsten fällen für eine menschenverachtende abschottung stehen. eine fassade, die glatt und nur wenig strukturiert ist, durch kleine quadartische oder schmale hohe fenster, wirkt nicht einladend sondern steht für abschottung nach außen. (schießschartenartige fenster unterstreichen diesen eindruck.) sieht man sich jedoch die baupläne an, begreift man schnell, dass die "schönheit" dieser häuser (ist halt geschmackssache) im inneren oder auf der rückseite der gebäude zu finden ist. da gibt es dann auf einmal offenheit, licht, glas etc.
nun sind wohnhäuser zwar keine offenen gebäude, aber sie sind es doch, die ein stadtbild im wesentlichen prägen. man stelle sich eine straße vor, die ausschließlich aus der art gebäude besteht, wie sie bspw. in der josephstraße neue entstanden: eine schlucht aus betonmauern mit schießscharten, die das dahinterliegende heim, das hab und gut wehrhaft verteidigen. Dahinter liegt utopia, aber du kommst hier nicht rein. Und das ist für mich das problem. Architektur hat immer auch eine soziale komponente – vor allem wohnarchitektur. Diese geht dem wohlstandsbunker aber fast komplett ab, oder sie vermittelt eben abschottung. Und da sind wir dann wieder bei den menschen… will ich als bewohner meiner umgebung vermitteln „unter einem monatseinkommen von 2500€ kommste hier nicht rein“? oder will ich in einem viertel leben, dass auf kommunikation, offenheit und ein lockeres lebensgefühl setzt?
Es ist also vielmehr ein ästhetisches problem, an dem eine soziale komponente hängt. wenn ich mir nen hippen bunker in ein künstlerviertel stelle, ist das ein statement.