Donnerstag, Mai 10, 2007

Ich lief auf unsere Straßenbahnhaltestelle zu und da stand sie: der Albtraum, all das vereinend, was ich nie sein will, eine Geißel der vom Schönheitswahn beseelten Gesellschaft, ein Wrack menschlicher Eitelkeit.

Zuerst fielen mir ihre Haare auf: spröde, kaputt, künstliche Locken, schon millionenfach wasserstoffblondiert, mit 5cm langen aschbraunen Ansätzen. Das darunter war auch nicht besser, denn sie gehört anscheinend zu jenen menschlichen Wesen, die an Tanorexie "leiden". Das bedeutet, dass sie mehrmals pro Woche ein Solarium aufsucht; im Winter sogar sicherlich fast täglich, weil da die natürliche Sonne als Quelle der Bräunung noch energiesparender scheint. Die Eintrahlung von UV-Licht und das Gefühl, braun zu werden, setzt in solchen Menschen Glückshormone frei und das macht diese Sucht aus. Leid tun sie mir nicht, weil ich eigentlich nicht mal eine einmalige Nutzung von Solarien verstehe. Um wieder auf den Punkt zu kommen: genau diese krasse Nutzung bewirkt auch, dass SIE wesentlich älter auszusehen scheint, als sie tatsächlich ist. Wenn man die Solarienfalten wegdenkt, dann wird sie wohl ca. 30 sein.
Aber es wurde immer schöner: grelle lila Kunstnägel, die Finger voller Modeschmuckringe aus buntem Plastik, pinke Sandalen, hellblaue Jeans, pinkes Shirt, innerhalb von 5Min zwei Zigaretten rauchend, wüst auf dem Handy herumtippend (dabei mit den künstlichen Nägeln imposant klackend). Sie erfüllte in diesem Moment alle meine wundervollen kleinen Klischees, für die ich mich manchmal oberflächlich finde, auf so eine unnachahmlich parodistische Weise, dass ich es wohl lassen werde, sie mir abzugewöhnen. Wenn man so ein perfektes Beispiel geliefert bekommt, das eine Satire nicht abstruser hätte nachzeichnen können!
Wir stiegen also in dieselbe Bahn, in den gleichen Waggon. Und urplötzlich fing diese Dame an zu telefonieren. Ihre überraschend angenehme Stimme, die ich als schrill eingeschätzt hätte, setzte sie leider zu laut für diese Situation ein und redete - offensichtlich angetrunken - langsames, geräuschintensives Zeug in ihr Handy. Sie wiederholte sich immer und immer wieder.
Umso überraschter war ich, dass sie bereits nach einer Haltestelle ausstieg. Püppi, im Ernst: wer 5Min an einer Haltestelle wartet, um zu einer Haltestelle zu gelangen, die drei Fußminuten (in Anne-Tempo!) entfernt liegt, der hat sich dann wohl vollkommen den letzten Funken Hoffnung, den man in seine Vernunft setzen kann, verspielt.

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